Zugfahrt nach Weimar am Samstag, 18. Oktober 2025: Besuch der Ausstellung zur Entstehung des „Faust“ im Goethe- und Schiller-Archiv, 11 Uhr, Bummel im Zentrum und Mittagessen, 15.30 Uhr Seebach-Forum Konzert mit Liedern von Robert Schumann u.a., Prof. Martin Högner (Klavier) und Bernd Schneider (Tenor). Gesonderte Information wird bereitgestellt.
Alle Beiträge von Bernd Kemter
Schillers Idee der Freiheit – Heute
Vortrag von Hanskarl Kölsch, München, am 30. September 2025
Goethe als Vordenker der Klimakatastrophe
Vortrag von Dr. Manfred Osten, Bonn, am 2. September 2025
Die Wahrheit der Natur war Goethe wichtig. Er erkannte, dass die Natur etwas Hochkomplexes ist. Der Mensch darf in ihre unendlichen Wechselwirkungen nie ungestraft eingreifen. Die Natur duldet keine Späße des Menschen. Wir leben nicht mehr in der Kultur des Sehens, wir leben vor allem in einer digitalen Welt. Aber wir dürfen die Natur nicht nur theoretisch betrachten, das Anschauen ist besonders wichtug.
Goethe hat sich zunächst mit dem Erdreich beschäftigt – im Zusammenhang mit dem Ilmenauer Bergbau. Hinzu kam die Welt der Pflanzen, das Pflanzenreich, das Tierreich und der Mensch. Die Metamorphose von Pflanze und Tier, dies birgt das Geheimnis der Natur, in das wir nicht ungestraft eingreifen dürfen. Der Tod ist der Trick, immer viele Leben zu haben. Lynkeus: zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt. Dem folgen wir leider nicht, wir verharren in Theorien. Aber wenn wir die Welt nicht ansehen, hat die Welt ihr Ansehen verloren.
1774 beschleicht Goethe die Ahnung, dass der Mensch möglicherweise seinen Planeten und sich selbst vernichten könnte. Es ist dies „die Krankheit zum Tode“, wie es sich im „Die Leiden des jungen Werther“ spiegelt. Goethe hat die Natur angeschaut und sie nicht theoretisiert.
Sein Urerlebnis der Apokalypse geschah, als er 1790 mit seinem Herzog nach Schlesien ging, dort militärische Übungen erlebte. Wichtiger war ihm jedoch, den Betrieb der ersten Dampfmaschine auf preußischem Boden zu erleben., die „Feuermaschine von Tarnowitz“. Er wusste nun, das Maschinenzeitalter wird kommen wie ein Gewitter und wird uns brechen. Davon zeugt auch sein Festspiel der Pandora. Prometheus brachte als freundliches Geschenk dem Menschen das Feuer. Es ist mit Schrecken verbunden, denn dank seiner Hilfe folgt nun die Folterung der Erde und die Ausbeutung ihrer fossilen Stoffe. Wir fackeln die fossilen Ressourcen ab, dies in Gestalt von Schmiedegesellen, die Prometheus bei ihrem Treiben beobachtet. Die Priorität fossiler Energieerzeugung ist zum obersten Prinzip der Weltverwertung geworden. Damit geht die grenzenlose Steigerung der Produktion einher. Damit steigt der Konsum, Goethe ahnt die Wegwerf-Gesellschaft vorweg.
Der Mensch bleibt immer Zögling der Elemente und somit auch der (sauberen) Luft. Die fossilen Wälder schufen einst einen Überschuss an Sauerstoff, wodurch wir überhaupt erst leben können. Doch seit dem 20. Jahrhundert schrillen die Alarmglocken. Übermäßige Mengen an frei werdendem Kohlendioxid schädigen das Klima. Jetzt erst, mit 200-jähriger Verspätung, setzt die Menschheit auf Nachhaltigkeit. Rettung ist möglich, wenn wir die Welt entgiften. „Möge die Idee des Reinen in mir immer wichtiger werden“, sagt Goethe. Im „Buch der Parsen“ beschreibt er die notwendige Reinheit der drei Elemente. Goethe behandelt dies als reines Vermächtnis der Menschheit:
„Und nun sei ein heiliges Vermächtnis
Brüderlichem Wollen und Gedächtnis:
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.“
Das sei alles, was wir wissen müssen.
Er erkennt, dass der Vorgang der Erdnutzung immer mehr exploitieren müsse, wenn und weil Geschwindigkeit ein Machtvorteil mit sich bringt und Kapital akkumuliert. Franklin: Time is money. Das ist die ungeheure Wirklichkeit. Goethe antizipiert bereits 1825 die Maßlosigkeit der industriellen Gesellschaft. Und er weiß, was dies bedeutet: Keiner kennt sich mehr. Wir leben über unsere Verhältnisse. In allen Bereichen erleben wir Beschleunigung, alles ist ultra. Durch die absolute Rangerhöhung des Kapitals wird der Mensch zum Humankapital.
Faust lebt nach diesen Prinzipien., Mephisto gibt ihm alles und sofort. Die Natur wird als Kapitalressource gratis ausgebeutet. Dafür stehen bei Faust Landgewinnung, Kanalbau, aber auch die Vernichtung der Idylle von Philemon und Baucis. Die Sorge erscheint, Faust kommt das natürliche Atemholen abhanden, er erstickt zu Tode und bereitet sich zur Hölle. Faust bleibt ohne Therapievorstellungen. Anders Lynkeus: Er sieht die Verbrechen. Er hat die Dinge angeschaut, um die Natur in ihrem ursprünglichen Sinne zu verstehen.
Wir müssen Gier, Besitz, Kapital einen neuen Eigentumsbegriff zugrunde legen. Nur durch Mäßigung können wir uns erhalten. Goethe:
„Ich weiß, daß mir nichts angehört Als der Gedanke, der ungestört Aus meiner Seele will fließen, Und jeder günstige Augenblick, Den mich ein liebendes Geschick Von Grund aus läßt genießen. |
Jeder Trost ist niederträchtig, Verzweiflung allein ist Pflicht. Es ist die Ungeduld, die uns aus dem Paradies vertrieb. Selbstdisziplinierung wird wichtig in unserer Zeit
Der Schriftsteller Hans Fallada – Patient in Tannenfeld und seine Lehrzeit in Posterstein
Vortrag von Marlis Geidner-Girod, Nöbdenitz, am 1. April 2025
Wie eine Schlittenfahrt geht mein Leben. 250 Jahre Goethe in Weimar
Vortrag von Dr. Thomas Frantzke, Leipzig, am 4. März 2025
Am 11. Dezember 1774 treffen sich Karl Ludwig Knebel (1744 – 1834, Lyriker, Übersetzer, sowie „Urfreund“ von Johann Wolfgang Goethe) und Goethe in Frankfurt/M. Erbprinz Carl August und Prinz Constantin befinden sich da gerade auf Reise nach Frankreich. Auch sie finden sich bei Goethe ein. Carl August ist insbesondere von „Götz von Berlichingen“ fasziniert. Sie unterhalten sich jedoch nicht über Literatur, sondern über Justus Mösers Reformschrift „Patriotische Phantasien“. Darin geht es auch um Fürstenerziehung, ganz im Sinne der europäischen Aufklärung.
Allerdings steht Goethe zu dieser Zeit in spöttelnder Gegenerschaft zu Wieland, der ja Prinzenerzieher am Weimarer Hofe war. Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) war Dichter, Übersetzer und Herausgeber, einer der bedeutendsten Schriftsteller der Aufklärung im deutschen Sprachgebiet und der Älteste des klassischen Viergestirns von Weimar, zu dem neben ihm Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller gezählt werden.
Wieland schrieb, angeregt durch Glucks „Alceste“ (1767), 1773 zusammen mit dem Kapellmeister Anton Schweitzer das Singspiel „Alceste“ in deutscher Sprache. Dem Stürmer und Dränger Goethe missfiel dieses sachte, glatte Rokoko-Spiel, er verfasste in jugendlichem Ungestüm die gewagte Farce „Götter, Helden und Wieland“. Selbiger reagierte weltmännisch, indem er den Druck im „Teutschen Merkur“ anzeigte und Goethes Farce in der Juni-Ausgabe 1774 seiner Zeitschrift als Meisterstück von Persiflage lobte.
Goethe, dem der Wind aus den Segeln genommen war, erhielt durch seine Freunde Karl Ludwig von Knebel und Friedrich Heinrich Jacobi sowie durch Wielands Jugendfreundin Sophie von La Roche Hilfe beim Friedensschluss und schrieb im Dezember 1774 einen Versöhnungsbrief an Wieland. Goethes Wechsel nach Weimar brachte die Annäherung, die in Goethes Spruch vom Juli 1776 gipfelte: „Mit Wieland hab‘ ich göttlich reine Stunden. Das tröstet mich viel.“
Im Mai 1775, als Carl August seine Verlobte in Karlsruhe besuchte, zeigte sich Goethe entzückt von Luise. Und er urteilte: „[Der künftige] Herzog Carl August kam, und er ist mir gut.“ In dieser Situation signalisierte Goethe, sich alsbald mit Wieland zu versöhnen. Während der Hochzeit von Carl August mit Luise lädt der Souverän den Dichter nach Weimar ein. Goethes Vater bleibt skeptisch, er sieht den Sohn „im Fürstendienst“. Am 7. November kommt Goethe in Weimar an. Er wohnt zunächst bei der Familie von Kalb (Sächsischer Hof), es sind die ersten vier Monate. Dann – 1776/77 – zieht er um auf den Burgplatz, schließlich ins Fürstenhaus (Ständehaus), der heutigen Musikhochschule für Musik, in dem Carl August nach dem großen Schlossbrand Quartier nehmen musste. Natürlich bewohnte er auch das Gartenhaus an er Ilm, allerdings nur in der warmen Jahreszeit.
Ende 1775 fehlte dem kleinen Herzogtum der Generalsuperintendent, der Landesbischof. Goethe regte Herder an, seinen ursprünglichen Plan auf Göttingen zu verzichten und nach Weimar zu kommen, „weil es hier einiges zu tun gibt“. Er will Herder, den Jugendfreund aus Straßburgs Tagen, bei sich haben. Allerdings gab es etwa 150 Pfarrer im Land, die sich ebenfalls Chancen auf die Stelle ausrechneten. Vergeblich.
Zwischen Goethe und dem Herzog entwickelte sich bereits in den ersten Wochen eine enge Freundschaft. Ein „wildes Genie-Treiben“ des 18-jährigen Souveräns und seines um acht Jahre älteren Freundes setzte ein, unbekümmert um die prekäre Lage des Herzogtums. Dagegen galt der Gothaer Hof auch in finanzieller Hinsicht als vorbildlich.
Goethe sinnt nicht nur auf literarischen Lorbeer und eigene Werke, er möchte auch eine wesentliche Rolle auf dem „Welttheater“ spielen. Gegenüber seinem Freund Johann Heinrich Merck (1741 – 1791), Darmstädter Herausgeber, Redakteur und Naturforscher, Rezensent, Essayist, Erzählungen, äußert er, seine Lage sei recht vorteilhaft. Seine Hauptkonditionen habe er durchsetzen können: Freiheit für seine Werke und sein „Genügen“ (finanzielles Auskommen).
Das wilde Treiben kommt im Reich und schon gar nicht im Herzogtum selbst nicht gut an. „Mir wird heimlich die Schuld gegeben, dass der Herzog nicht nach ihrer Pfeife [des Hofes] tanzt.“ Die Streiche der beiden schockieren den Hof und die Leute. Beispiele: Peitschenknallen auf dem Weimarer Marktplatz, Einmauern der Tür zur Ausflugswohnung der Göchhausen, Katze im Butterfass. Trinkgelage sind an der Tagesordnung, weil sich der Herzog „abhärten“ muss. Knebel kritisiert, und Charlotte von Stein meint, Goethe verderbe des Herzogs Charakter. Die Hofetikette scheint außer Kraft gesetzt.
Konflikte gibt es bei den Ernennungen. Man beklagt, dass die Beförderungen ausschließlich Leuten – wie dem jungen Sprössling von Kalb – zugute kommen, die nur der Unterhaltung dienen. Dieser Konflikt entzündet sich insbesondere bei der Wahl zum Geheimen Consilium, dem Geheimen Rat. Dieses Conseil war das höchste politische und gerichtliche Gremium im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach der Frühen Neuzeit. Es unterstand direkt dem Herzog und war die zentrale Behörde des Herzogtums, die allen sonstigen Behörden sowie auch der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek vorstand. In diesem Gremium wurden nicht nur alle wichtigen politischen Entscheidungen im Staat getroffen, sondern auch Beschlüsse gefasst, die zur Hinrichtung bei Kapitalverbrechen führten.
Das Conseil bestand zu jener Zeit aus drei Männern: dem Herzog selbst, Christian Friedrich Schnauß (1722–1797), Beamter und Politiker und Jakob Friedrich von Fritsch (1731–1814), sächsischer Staatsmann. Nun sollte noch Goethe hinzukommen. Dagegen gab es große Vorbehalte. Fritsch wollte sogar seine Demission einreichen, falls Goethe Aufnahme finden würde. Dem widersetzte sich der Herzog. Klopstock ermahnte Goethe, was selbiger sich verbat.
Doch Goethe wandelte sich. Er bemühte sich um ein gutes Verhältnis zu Fritsch, übernahm vielfältige Verwaltungsaufgaben wie den Ilmenauer Bergbau, die Jenaer Universität, Kriegs- und Wegewesen. Er will für das Gemeinwohl, für den Herzog Gutes bewirken, 1782 wird er geadelt.
Die Herzoginmutter Anna Amalia hilft, Fritsch wird ihr vertrautester Berater. Er habe einen falschen Eindruck, ihr Sohn sei von Ehrenmännern umgeben: „Suchen Sie ihn [Goethe] kennenzulernen.“ Fritsch bleibt Anna Amalia zuliebe und um für das Land positiv wirken zu können. Goethe verhält sich devot zu Fritsch. Er bemüht sich um Reformen, verkleinert beispielsweise das Heer von 600 auf 300 Soldaten. Dennoch sind die Widerstände enorm, so dass Goethe gegen 1785 resigniert. Sinngemäß meint er: Wer sich mit der Administration abgibt, ohne ihr Herr zu sein, ist ein Schelm, ein Narr …
Der Herzog bleibt ihm freundschaftlich verbunden. Und auch sonst festigt sich allmählich seine Stellung im Land an der Ilm. Charlotte von Stein wird seine große Liebe. Freunde stellen sich ein, Herder ohnehin, den er ja nach Weimar geholt hatte. Es entwickeln sich Freundschaften zu Wieland (später abkühlend), Knebel, zum Kreis um Anna Amalia, zu Einsiedel, zum Hoffräulein von Göchhausen (die den „Urfaust“ abschreibt und somit überliefert). An Charlottte schreibt er, wie lieb ihm das Land inzwischen geworden ist. „Es kamen mir Tränen in die Augen“.
Klopstock, das ist mein Mann (Goethe)
Vortrag von Steffi Böttger, Leipzig, am 11. Februar 2025
Friedrich Gottlieb Klopstock (* 2. Juli 1724 in Quedlinburg; † 14. März 1803 in Hamburg) war ein deutscher Dichter. Er gilt als wichtiger Vertreter der Empfindsamkeit. Heute wird er kaum verstanden, wenig gelesen. Sehr zu Unrecht, wie die Referentin deutlich werden ließ. Immerhin gehörte er im 19. Jahrhundert zu den erfolgreichsten Schriftstllern. Auf der anderen Seite gilt ungeachtet Lessings Urteil: Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? Nein. Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.
Die Verlegenheit ist mit Händen zu greifen.
Geboren in einer wohlhabenden Familie, 17 Geschwister, in Quedlinburg, erfolgte ein sozialer Abstieg. Dennoch kam der 15-Jährige zu weiterer ausbildung an die Fürstenschule Pforta. Schon dort begann er zu dichten, das waren vor allem Heldengedichte im klassischen Versmaß des Hexameter. Er wollte Homer der Deutschen sein. Er ordnete alles diesem Ziel unter, brach wohl auch deshalb sein Theologiestudium ab. In der wöchentliche Zeitschrift Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes – den „Bremer Beiträgen“ – erschienen die ersten drei Gesänge seines berühmtesten Werkes, des „Messias“, nach einer Prosafassung nun in Hexametern. Sie lösten leidenschaftliche Diskussionen aus. Diese Verse bekamen auch der anakreontische Dichter Friedrich Hagedorn sowie der Schweizer Philologe Johann Jakob Bodmer in Zürch zu Gesicht. Letzterer verwendete sie als „Waffe“ gegen den der Aufklärung verpflichteten „Literaturpapst“ Johann Christoph Gottsched in Leipzig. Somit richtete sich die Kirtik vor allem gegen die Überbetonung des Verstandes in der Dichtung. Briefe wurden gewechselt, es setzte eine redaktionelle Arbeit ein, die zudem tiefe Eingriffe nach sich zog, was sich ein heutiger Autor nie gefallen lassen würde. Zusehends mehrten sich auch kritische Stimmen. Bei alldem wurde der „Messias“ immer bekannter. Vier Drucke entstanden innerhalb von vier Jahren und dies bei einem noch nicht einmal vollendeten Versepos eines gerade einmal 24-Jährigen. In der Endfassung kam der „Messias“ auf rund 20 000 Verse.
Klopstock verliebte sich in die 17-jährige Maria Sophia Schmidt. Die junge Dame sandte jedoch widersprüchliche Signale aus, letztlich fand sie keinen Gefallen an dem mittellosen Studienabbrecher. Klopstock begann wegen seiner Liebe – sie allegorisierendend als Daphne (Nymphe, in die sich Apollo verliebte), Laura (Figur bei Petrarca), Fanny – ein unwürdiges Geschacher mit Gott. Er habe ein Recht auf ihre Liebe, forderte verwegen „seine Fanny“ als Gottesgeschenk: „Gib sie mir, die du erschufst“. Andererseits verpflichtete er sich zu leidenschaftlicher Huldigung des Allerhöchsten. Ein Geschenk, ein Geschäft? Klopstock Er schrieb auch die Ode: „An Fanny“.
In Goethes „Werther“ taucht der Name Klopstock ebenfalls auf. Es ist der Moment, in dem Werther sich in Lotte verliebt. Sie sagt „Klopstock“, da sie das während einer ländlichen Lustbarkeit aufziehende Gewitter an Klopstocks Ode „Die Frühlingsfeier“ erinnert. Diese Ode verknüpft Realität mit Phantasie; dies ist neu und bezeugt Klopstock als Dichter der Empfindsamkeit. Allerdings ist es auch riskant, die eigenen Liebeserlebnisse öffentlich zu machen. Und: Gegen die Kaprizen einer 17-Jährigen sind sogar der Allmacht Gottes Grenzen gesetzt.
Finanzielle Probleme bleiben nicht aus. So schreibt Klopstock an seinen Gönner Bodmer mit der Bitte um Versorgung; dies auch, um seinen „Messias“ vollenden und möglicherweise sogar Fannys Hand gewinnen zu können. Er reist 1750 nach Zürich. Bodmer bemüht sich und agiert sogar – erfolglos – als Heiratsvermittler. Sein Brief an Fanny kommt jedoch nicht an, ihr Bruder hält das Schreiben zurück, da ihm die ganze Lächerlichkeit der Affäre bewusst ist. Klopstock benötigt jedoch eine besoldete Stelle. So folgt er acht Monate später dem Ruf Friedrich V. an den dänischen Hof. Er nimmt sich viel Zeit, besucht auf seinem Weg nach Kopenhagen seine Mutter in Quedlinburg, seine Fanny in Langensalza und Freunde in Hamburg. Hier lernt er Margareta Moller, seine Meta, eine junge, hübsche und sehr gebildete Frau kennen. Sie wechseln empfindsame Briefe.
In Kopenhagen konnte er sein Werk vollenden. Friedrich gewährte ihm eine Lebensrente von jährlich 400 (später 800) Talern. Drei Jahre blieb der Dichter in Dänemark, ohne größeren Verpflichtungen folgen zu müssen.
1754 konnte er seine Meta heiraten. Sie wurde seine Mitarbeiterin, Korrektorin und Kritikerin. Die 600 Taler reichten freilich für die Haushaltsführung nicht aus. Die aus begüterter Familie stammende Meta fügte sich jedoch klaglos. Die Ehe verlief glücklich. Meta starb jedoch schon am 28. November 1758 bei einer Totgeburt. Ihr Verlust bedeutete für ihn eine nie heilende Wunde. Dreißig Jahre hindurch konnte Klopstock sie nicht vergessen und besang sie in seinen Elegien, zum Beispiel in „Das Wiedersehen“. Erst im hohen Alter (1791) heiratete er die Hamburgerin Johanna Elisabeth Dimpfel verw. von Winthem (1747–1821), welche eine Nichte von Meta Moller war. Seine Liebesgedicht an Meta wie „Das Rosenband“ wurden jedoch oft verkannt.
Politische Gedichte waren zwar an den dänischen König Friedrich V. gerichtet, waren aber eigentlich an den preußischen Souverän Friedrich II. gerichtet, dessen Kriege der Dichter allerdings verurteilte.
Neben dem Messias, der endlich 1773 vollständig erschien, schrieb Klopstock Dramen, darunter „Die Hermanns Schlacht“ (1769). Er wandte sich dann nach Hamburg. Hier gründete er eine Lesegesellschaft zur Verbreitung deutscher Literatur. Diesem Kreis gehördeten auch Damen an, um anstößiger Literatur vorzubeugen. Es erschien der Band „Ode“, in einer Prachtausgabe und einem billigerem Exemplar. Die Begeisterung kannte keine Grenzen. Im Dichterkreis „Göttinger Hain“ (Voß, die Stolbergs, Bürger) wurde Klopstock hoch verehrt: „Der Bund ist heilig“, während man Wielands Werke und dessen Porträt verbrannte.
Klopstocks aufgeklärte Utopie „Die deutsche Gelehrtenrepublik“ (1774) ist ein Konzept, das für die als regierungsunfähig angesehene Fürstenherrschaft eine gebildete Elite in die Macht einsetzt. Die Republik soll von „Aldermännern“, „Zünften“ und „dem Volke“ regiert werden, wobei den ersteren – als den gelehrtesten – die größten Befugnisse zukommen sollte, Zünften und Volk entsprechend weniger. Der „Pöbel“ hingegen bekäme höchstens einen „Schreier“ auf dem Landtage, denn Klopstock traute dem Volk keine Volkssouveränität zu. Bildung ist in dieser Republik das höchste Gut und qualifiziert ihren Träger zu höheren Ämtern. Entsprechend dem gelehrsamen Umgang geht es in dieser Republik äußerst pazifistisch zu: Als Strafen zwischen den Gelehrten veranschlagt Klopstock Naserümpfen, Hohngelächter und Stirnrunzeln.
Klopstock begrüßte begeistert die Französische Revolution, blieb ihr auch in der Jakobiner-Schreckensherrschaft 1793/94 treu. Nur gegenüber Herder räumte er dies als großen Fehler ein.
Klopstock setzte sich als einer der ersten für Autorenrechte ein. Er versandte Ankündigungen seiner Werke, ließ im Selbstverlag drucken. Die Buchhändler/Verleger seien nur darauf aus, sich „am Autorenhirn zu mästen, während der Autor von Brosamen vom Tisch der Reichen leben muss“. Er kam auf immerhin 3480 Subskribenten, bei einer Auflage von 3655 Stück. Aus seiner Geburtststadt Quedlinburg ging indes keine einzige Bestellung ein.
1776 zog er auf Einladung Markgraf Karl Friedrichs von Baden vorübergehend nach Karlsruhe. Doch die steife Hofetikette misshagte ihm, daher zog er wieder nach Hamburg. 1797 erschien bei Göschen/Leipzig die Gesamtausgabe seiner Werke.
Nach seinem Tod am 14. März 1803 im Alter von 78 Jahren wurde er am 22. März 1803 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung neben Meta auf dem Friedhof der Christianskirche in Hamburg-Ottensen beigesetzt. An der Begräbnisfeier sollen ca. 50 000 Menschen teilgenommen haben. In den „Xenien“ feiert Goethe den Dichter: „Klopstock, der ist mein Mann, der in neue Phrasen gestoßen,/Was er im höllischen Pfuhl Hohes und Großes vernahm.”
Es war einmal … Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
Vortrag von Dr. Heidi Ritter, Halle, am 3. Dezember, 18 Uhr, Haus Dacheröden
Der gedichtete Himmel – eine Geschichte der Romantik
Vortrag von Prof. Dr. Stefan Matuschek, Jena
Die Romantik war ein wahrer Innovationsschub in der europäischen Literatur. Prof. Matuschek führte hierzu als Beispiel Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“ an. Es nimmt Bezug auf Platons „Seelenmythos“ in seinem „Phaidos“. Bemerkenswert ist hierbei der Konjuktiv, in den das Agieren der Seele versetzt wird: „… als flöge sie nach Haus“.Der Konjunktiv liefert die Gewissheit, dass für uns die Welt auf Trost und Ruhe hinauslaufen kann.
Das Neue daran: Es sind zwar nur Vorstellungen, dennoch sind sie durchaus wirksam. Menschen leben auch in ihrer Einbildungskraft. Sie fragen sich zum Beispiel: Gibt es ein Schicksal? All diese Fragen können nicht durch unsere Vernunft beantwortet werden. Somit liegt die Romantik zwischen Relität und Vorstellungskraft.
Nach dem Topos der Aufklärung dürfen jedoch Wirklichkeit und Vorstellung nicht miteinander verwechselt werden. Nach ihr gibt es Realisten und Schwärmer. Die Romantik schafft jedoch einen dritten Topos, dass sie nämlich in der Vorstellung lebt und dabei Lebenswirklichkeit wird.. Sie schafft eine Heimat und richtet den Blick in die Unendlichkeit. Die Spannung zwischen Realität und Vorstellung gerät zu einem kontinuierlichen Thema in der Weltwahrnehmung. Es handelt sich um eine religiös geprägte Naturwahrnehmung, die die Natur als Gottheit verehrt. Wir versuchen, das Unendliche zu denken, es uns vorzustellen. Dabei erleiden wir „süßen Schiffbruch“.
Es geht also immer um die ganz großen Fragen. Es entfaltet sich ein großes Sinnbedürfnis, das empirisch nicht zu befriedigen, noch rational zu überprüfen ist. Somit gerät der Mensch in „metaphysische Obdachlosigkeit“. Die Romantik will genau diese Obdachlosigkeit aufheben. Die natürliche Religiosität kennt dabei keinen Fanatismus wie in anderen Religionen, wo deren fundamentalistsche Protagonisten genau zu wissen meinen, was Gott verlangt.
Die Romantik gestaltet die Wirklichkeit anders. Sie erfasst ebenso das Wunderbare. Das Wunderbare wird dabei nicht hinterfragt, es ist selbstverständlich da.
Goethe erwies sich als wichtiger Anreger der europäischen Romantik. Sein „Erlkönig“ gehört ebenso hierher. Ein weiteres wichtiges Beispiel romantischen Gedankenguts ist E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“. Der Junge Nathanel verbindet das Erscheinen eines alten Mannes stets mit der Forderung, er müsse ins Bett, da der Sandmann erscheine. Er fragt nun, wer der Sandmann sei. Seine Wärterin antwortet ihm, dies sei ein großer Raubvogel, der zu frechen Kindern komme, die nicht ins Bett wollen, und der picke ihnen die Augen aus.
Die literarische Romantik simuliert die Lebenswelt. Man lebt in seinen Vorstellungen. Aber dieses Leben kann mitunter pathologisch sein, wie der „Sandmann“ beweist.
Einher geht auch eine Wiederbelebung des Mittelalters. Walter Scott hat diese Literatur des historischen Romans mitbegründet. Somit sorgte die Romantik für eine Erfolgsgeschichte des Romans. Der Prosaroman kommt ohne Theorie aus, schuf aber auch den Briefroman, in dem erstmals auch unglückliche Liebe gestaltet wird. Friedirch Schlegel meinte, es handele sich um eine Epoche wie in einem Roman. Wieland gebraucht diese Wendung. Abenteuer- und Ritterromane bekommen Konjunktur. Es ist ein Aufbruch ins Neue, das sich aller Fesseln entledigt.
Zu diesen Fesseln gehört Gottscheds Regelwerk. Goethe hat den Verteter des Ancien regime noch in Leipzig besucht. Mit seinem „Werther“ befeuert er die moderne Entwicklung. Ein Beispiel ist ebensso Rousseaus Roman „Die neue Heloise“
In Goethes „Götz von Berlichingen“, selbst im Faust finden sich romantische Bezüge. Es sind auch Grotesken an sich. Dafür steht beispielsweise der verhinderte Selbstmord von Faust. Von der Tat hält ihn der Klang der Osterglocken ab, die Erinnerungen an die Kindheit wachrufen. Er wird nun aber nicht wieder gläubig, sondern sentimental. Von Hexen ist die Rede und vom Teufel (Mephisto). Kein Leser des „Faust“ glaubt an den Teufel. Sein Nihilismus kommt viel farbiger als in der realen Welt daher. Das Erlebnis wird zu „schäumender Gotteslust“ und bestimmt den Fortgang der Handlung. Eine Ästhetisierung und hohe Spiritualität kennzeichnet das Werk. Dazu gehört die schöne Vorstellung, dass das Leben in Gottes Hand sei. Man kann dies als Gewissheit nehmen oder – als Vorstellung.
Ein Wesen voller Geist und Wunder – Adele Schopenhauer
Vortrag von Claudia Häfner, Weimar, am 3. September 2024
Es gab 2019 eine Ausstellung über sie, lange zuvor, 1975 wurden ihre Tagebücher verfilmt. Sie galt lange als Egomanin, schien vom Schicksal als die Unglückliche verurteilt. Sie kam 1797 in Danzig zur Welt. Ihr Vater verlor bei einem Sturz vom Dach das Leben. Ihre resolute Mutter Johanna zog mit ihr 1806 nach Weimar, während Bruder Arthur des Studiums wegen in Hamburg blieb. Mutter Johanna, die in Weimar recht wohltätig handelte, wollte einmal um ihren Teetisch alle großen Geister Weimars versammeln. Goethe gesellte sich der Runde bei. Amüsiert schrieb er, wie die kleine Adele einmal versuchte, den Rock des Kunsthistorikers Johann Heinrich Meyer anzuzünden.
Goethe wurde als Vaterfigur vereinnahmt. Ihre künstlerische Begabung wird gefördert. Sie zeichnet Blumenbilder, nimmt an der Weimarer Zeichenschule teil. Sie lernte Italienisch, Französisch, Englisch, neben dem Malen und Zeichnen musizierte sie und übte sich an Handarbeiten. Rasch schloss sie Freundschaft mit Ottilie von Pogwisch, der späteren Schwiegertochter Goethes. Mit ihr las sie Werke berühmter Dichter, so von Shakespeare, Calderon, Tasso, Tieck, E.T.A. Hoffmann und anderen. Randornamente entstehen, vor allem aber Scherenschnitte und Arabesken.
Adele Schopenhauers Scherenschnitte, für die sie höchste Anerkennung erhielt, sind bezaubernde Welten, in denen anmutige Gestalten in einem Traum ewiger Schönheit schweben.
Goethe zeigte sich begeistert. Vom bezaubernden Scherenschnitt „Local zu Adelens Zwergenfest“ schrieb er in seinem Tagebuch und verwies damit auf seine Mitarbeit an der figurativen Interpretation seiner Ballade „Hochzeitslied“ (Der Graf und die Zwerge). Balladeninhalt: Der Graf von Eilenburg kehrt nach einem Krieg auf sein Schloss zurück und findet dort dank einer Hochzeitsfeier von Zwergen sein Glück wieder.
1820 tritt Adele in eine neue Lebensphase ein. Die Idylle um „Vater“ Goethe erweist sich als brüchig. Familiäre, gesellschaftliche Probleme treten in den Vordergund. Bruder Arthur entfremdet sich der Familie. Nach dem Wiener Kongress setzen sich die alten Standesunterschiede wieder durch. Die Kluft zwischen Adel und Bürgertum vertieft sich. Das Leben verdüstert sich.
Dennoch: 1817 gründeten Adele Schopenhauer, Ottilie von Pogwisch und Caroline von Egloffstein den „Musenverein“, eine eigene kleine literarische Gesellschaft. Die Freundinnen nannten sich „Adel-Muse“, „Tille-Muse“ und „Muse-Line“. Sie diskutierten ihre Erzählungen, Dramen oder Gedichte, die für gut befundenen Arbeiten wurden gesammelt, aber nicht veröffentlicht. Ein eigenhändiges Manuskript im Nachlass der Familie Frommann enthüllt wahrscheinlich ihre erste bewusste Publikation: das Märchen „Farben und Töne“. Schlag Mitternacht öffnet die glückliche Welt der Elfen ihre Pforten für ein Kind, der Erzähler-Ich der Geschichte, und zeigt ihre phantastische Schönheit und Harmonie. Aber alles mündet in einen Alptraum …
Den erlebte Adele selbst. Die unerfüllte Liebe zu dem Chemiker Gottfried Osann, ihre von dem jungen Studenten Louis Stromeyer nicht erwiderten Gefühle und die soziale Isolation brachten sie an den Rand einer Depression. Sie beschloss daher, Weimar zu verlassen, dies auch aus finanziellen Gründen. Auf der Suche nach einer neuen Wohnung lernte sie 1828 Sibylle Mertens-Schaaffhausen kennen, die ihrem Leben eine jähe Wendung geben sollte. Die Sammlerin, Mäzenin und Musikerin führte in Bonn einen einflussreichen Salon und besaß mehrere Anwesen am Rhein. Sofort entwickelte sich eine innige Freundschaft. So kam es, dass Adele mit ihrer Mutter den Zehnthof in Unkel am Rhein beziehen konnte. Ab 1832 wohnten sie nur noch in Bonn. Die enge Beziehung zum „gütigen Vater“ in Weimar lebte im Briefwechsel fort. Sie durfte ihn um Autographen, und Medaillen bitten und vermittelte Mineralien, Altertümer, Bücher und Radierungen. Goethe: „Möge es unter uns noch lange beym Alten bleiben.“ Auch die vertraute Beziehung zu Ottilie von Goethe dauerte fort. Adele beteiligte sich an deren mehrsprachigen Zeitschrift „‚Chaos“, die aus den Aktivitäten des Musenvereins hervorgegangen war. Adele veröffentlichte ihre Beiträge, auch die zusammen mit Sibylle Mertens-Schaaffhausen verfassten, anonym oder unter dem Namen Viator.
Mit Annette von Droste-Hülshoff trat eine Dritte in den Freundschaftsbund. Ein interessanter Briefwechsel begann.
Dennoch erwies sich das Leben am Rhein als engstirnig und provinziell. Hinzu traten finanzielle Sorgen. Von den ökonomischen Zwängen erdrückt, erbat Mutter Johanna von Großherzog Carl Friedrich und Großherzogin Maria Pawlowna eine Pension, die ihr ermöglichte, nach Weimar zurückzukehren. Sie nahm ihren letzten Wohnsitz in Jena und starb dort 1838.
Adele begann nun zu reisen. Um dies finanzieren zu können, begann sie eine Karriere als Arabeskenmalerin. 1838 sandte sie an ihren Düsseldorfer Freund Immelmann eine außergewöhnliche Umsetzung einer Komposition vomn Wolfgang Maximilian von Goethe, die „Galoppade der Vögel“, die sie in ein ironisches gesellschaftskrtisiches Bild verwandelt hatte.
Mit dem jüngeren Enkel Goethes Wolfgang Maximilian schrieb sie das Drama „Erlinde“. Der Text basiert auf der thüringischen Sage von der Ilm-Nixe. Adele arbeitete zugleich als Literaturkritikerin.1844 erschienen bei Brockhaus die „Haus-, Wald- und Feldmärchen“, wo sie das erste Mal unter ihrem richtigen Namen auftritt. Es ist heute wohl das bekannteste Werk Adele Schopenhauers.
1844 begab sich Adele zu ihrer Freundin Schaaffhausen nach Italien. Die arbeitete dort als Archäologin. Von Genua ging es nach Rom. Noch vor ihrer Abreise hatte Adele dem Brockhaus noch ein weiteres Manuskript geschickt: „Anna. Ein Roman aus der nächsten Vergangenheit“.Dort nimmt sie das von ihr schon behandelte Thema der weiblichen Selbstbestimmung und des Einflusses der historischen Ereignisse auf die individuele Entwicklung wieder auf. Sie war zudem als Auslandskorrespondentin tätig. In Italien verfasste sie auch ihren letzten Roman: „Eine dänische Geschichte“. Auch schrieb sie – eine Innovation – einen Reiseführer über Florenz. Der richtete sich vor allem an reisende Frauen.
Geschwächt von einem Unterleibstumor kehrte sie 1848 zu Sibylle nach Bonn zurück. Sie starb dort 1849.
Werther-Motiv bei in- und ausländischen Dichtern
Ersatz-Vortrag (künftig auch Power point) von Bernd Kemter, Gera, am 14. Mai 2024 – geplanter Vortrag von Prof. Drux, Köln, musste krankheitsbedingt entfallen
,Zunächst: Goethes Werther-Motiv fand seinen Niederschlag auch in musikalischen Werken. So schuf Jules-Massenet seine Oper „Die Leiden des jungen Werther“. 1792 komoponierte Rodolphe Kreutzer eine komische Oper „Charlotte et Werther“. Georges Duvals „Werther ou Les egarements d’un coeur sensible“, eine Vaudeville, also ein revueartiger Liedyklus, wurde im Pariser Theatre des Varietes seit 1817 mehrere Jahre lang erfolgreich aufgeführt. Doch wollen wir uns heute ausschließlich mit der Adaption des Werther-Motivs bei einigen deutschen und ausländischen Dichtern beschäftigen.
,Zunächst ein kurzer Blick in die polnische Geschichte. Polen erlitt ein tragische Schicksal. Es wurde dreimal geteilt, 1772, 1793 und 1795 – zwischen Russland, Österreich und Preußen. Mit dem Wiener Kongress gab es gewissermaßen noch eine vierte Teilung. Dennoch blieb der Gedanke nationaler Einheit stets lebendig. So gab man sich am 3. Mai 1791 eine Verfassung, noch vor dem französischen Code Napoleon.
Immer wieder haben Polen versucht, ihren Staat wiederherzustellen. Immer wieder gab es Aufstände, so 1794/95, im November 1830, den bedeutendsten, dann 1848 und der letzte im Januar 1863, der blutig niedergeschlagen wurde. Nach diesen vergeblichen Versuchen verzichtete man auf militärische Auseinandersetzungen, beschränkte sich auf die Pflege der Sprache und Kultur, die katholische Kirche begleitete aktiv diesen nationalen Gedanken. Dann, nach dem Ersten Weltkrieg entstand der polnische Staat erneut. Damit wollen wir es bewenden lassen.
Immerhin interessierte sich auch Goethe für polnische Dichter, einige haben ihn sogar besucht. Doch dabei blieb es nicht. Er selbst bereiste – im Gefolge seines Herzogs während der schlesischen Kampagne – polnische und schlesische Gebiete. Es blieb 1790 bei seiner einzigen Reise. Später äußerte er, sein Alter verbiete ihm einen neuerlichen Aufbruch, wenn jedoch Polen ihn besuchen kämen, sei dies eine willkommene geistige Reise.
,Jetzt kommen wir zum Thema: Das Werther-Motiv im Spiegel einiger in- und ausländischer Dichter
Goethes „Werther“ inspirierte gleich mehrere Dichter, sich mit dem Schicksal des jungen unglücklich Verliebten in eigenen Werken auseinanderzusetzen. Der Vortrag weist diesen Umstand an Beispielen von Hölderlin, Lenz, Rilke, Stendhal, Mickiewicz und Lord Byron, italienischen und französischen Autoren nach.
Spuren des Werther-Motivs finden sich beispielsweise in Rainer Maria Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Der 18-jährige Adelige kämpft gegen die in Ungarn eingefallenen Türken. Vor der entscheidenden Schlacht übernachtet der Fahnenträger mit seiner Kompanie in einem Schloss. Dort verliebt er sich in die Gräfin, verbringt mit ihr eine Nacht im Turmzimmer. Währenddessen stecken die angreifenden Türken das Schloss in Brand. Der Cornet rettet die Fahne, wird jedoch inmitten der Feinde getötet. Die lyrisch-impressionistische Prosa beschreibt die Gefühle von Jugend und Lebenshunger, Liebe und Tod.Einige Motive sowie die Tagebuchform verweisen auch in Rilkes Briefroman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ auf den unglücklichen Werther.Es zeigt sich, dass die Bewältigung dieses anspruchsvollen Themas durchaus unterschiedliche, ja motivisch abweichende Versionen zeitigte. ,Setzen wir also mit Adam Mickiewicz fort, dies auch deshalb, weil der berühmte polnische Dichter fast selbst ein Werther-Schicksal erlebt hätteIm Versroman „Dziady“ Vorväter, Urahnen), übersetzt zumeist als „Totenfeier“. Die Fabel handelt von Gustaw, der angewidert von der Leere und Eitelkeit seine Jagdgesellschaft verlässt, sich in die Wildnis begibt, um eine ersehnte Geliebte zu besingen. Weil er sie nicht mehr findet, gibt er sich enttäuscht den Tod.
Darin heißt es in einfacher prosaischer Übersetzung:
Und sie ist so zärtlich, so schön berührend.
Wie Frühlingsflaum im Gras, das von den Zephyrwinden
weggeweht und von frühem Tau überglänzet wird.
Jeder meiner Gefühle wird sie augenblicklich rühren.
Jedes scharfe Wort würde sie verletzen. (Dies sei ferne von mir.)
Doch ihre Freude verdämmert im Schatten meiner Traurigkeit:
So erkannten wir die Gefühle des anderen in unserer gemeinsamen Seele.
Was der eine dachte, erriet der andere.
Alles Sein ist eng miteinander verbunden,
Wir schauten unsere Gesichter im Spiegel an
Wir sahen unser Herz, als stünde es an einem steilen Hang.
Was für ein Gefühl blitzte vor meinen Augen auf
augenblicks wie ein Lichtstrahl
es dringt in ihrem Herzen ein
und das Leuchten kehrt in mein Auge zurück
Oh ja! Ja, ich habe sie geliebt!
Wirst du nun aus Angst die Maske der Verdammten
auf das Antlitz deiner Geliebten setzen?
Ich erlaube mir, Sie in diesem Zusammenhang auf meine Erzählung „Kalliopes Sturmvögel“ aufmerksam zu machen, in der besagte Werther-Bezüge eine wichtige Rolle spielen, jedoch ebenso Goethes Streifzug 1790 durch Schlesien und Polen sowie zeitgeschichtliche politische und militärische Ereignisse; Themen, von denen bereits die Rede war. Dies nur nebenbei..
Mickiewicz erzählt auf meisterhafte Weise Leid und Qual der unglücklichen Liebe seines Haupthelden, die verzweifelten Kämpfe eines gebrochenen Herzens, die wie im „Werther“ im Selbstmord enden. Gustaw erscheint nun als ein zu ewigen Qualen verurteiltes Gespenst. Hier beginnt nun die Totenfeier mit der Geisterbeschwörung. Der Werther-Handlungsstrang wird jetzt verlassen, dafür tauchen verwandtschaftliche Beziehungen zu Goethes „Faust“ und „Hermann und Dorothea“ auf. Was nun das Werther-Motiv betrifft, so hatte Mickiewicz ganz offensichtlich sein eigenes Schicksal vor Augen. Er selbst sieht sich als Werther, seine geliebte Maryla als Lotte. Deren Verlobter Wawrzyniec Puttkamer weist auf Albert hin, einen Menschen, den der Liebhaber Marylas duchaus achten muss. Maryla schwört indes auf die ,poetische Seelengemeinschaft‘ mit Mickiewicz, für die Ehe scheint ihr Puttkamer besser geeignet.
Er trägt sich zunächst wie Werther mit Selbstmordgedanken, doch dann entscheidet er anders. Ein Duell soll entscheiden. Mit Józef Łoziński, einem Freund, begibt er sich zu Puttkamer, um ihn auf Pistolen zu fordern. Sie treffen das Paar während eines Spaziergangs. Maryla spricht freundlich mit dem Verliebten, fasst ihn bei der Hand, wandelt mit ihm durch den Park. Mickiewicz scheint das Duell völlig vergessen zu haben. Er und sein Begleiter werden als Gäste sogar ins Herrenhaus eingeladen. Doch in der Nacht weckt Mickiewicz seinen Freund, sie schleichen aus dem Haus und kehren nach Vilnius zurück. Der Dichter hat sich sehr ob seiner ursprünglichen Absicht geschämt und Łoziński gebeten, über die peinliche Angelegenheit kein Wort verlauten zu lassen. Doch sein Freund hat sich an sein Versprechen nicht gehalten. Anderenfalls hätten wir ja von der misslichen Affäre nichts erfahren. Unglückliche Verliebte, sie sind tragische und komische Figuren zugleich im turbulenten Spiel der Welt.
Zu jener Zeit, als Mickiewicz seine ,Totenfeier‘, die ,Dziady‘, schrieb, hat Mickiewicz überaus gründlich Rousseaus Briefroman ,Die neue Heloise‘, Lord Byrons Gedicht ,Manfred‘ und natürlich vor allem Goethes ,Werther‘ gelesen und sich von allem inspirieren lassen. Übrigens: Ein anderer Dichter, nämlich Kazimierz Brodzinski hat den „Werther“ ins Polnische übersetzt.
Anrührend ist das Drama Lord Byrons „Manfred“.
„Manfred“ (1817 entstanden) ist ein dramatisches Gedicht, in dem der Titelheld sich die Schuld am Tod seiner Geliebten Astarte gibt und als einzigen Ausweg aus diesem Unglück seinen eigenen Tod betrachtet. Mit überirdischen Fähigkeiten gesegnet, ruft er magische Wesen zu Hilfe, die ihm das Sterben ermöglichen sollen.. Diese weigern sich jedoch, ihn von seiner Bürde zu befreien und stellen ihn vor scheinbar unüberwindbare Hürden, die er für die Erfüllung seines Wunsches bezwingen muss. Manfred verzweifelt – wie Goethes „Faust“ – an seiner ungenügenden Welterkenntnis, er verschreibt sich finsteren Mächten, treibt okkulte Experimente in dunklen Nächten. Und er hat eine Geliebte, Astarte, wie Faust sein Gretchen. Er verfällt den teuflischen Mächten, wird aber von der Hölle erlöst.
Byron verfasste das metaphysische Drama nur kurze Zeit, nachdem die inzestuöse Liebesbeziehung zu seiner Halbschwester Augusta bekannt geworden war, in deren Folge seine Ehe zerbrach und er vor den Schmähungen der Londoner Gesellschaft in die Schweiz fliehen musste. Da die Hauptfigur ebenfalls eine verbotene Beziehung pflegt und an ihren Schuldgefühlen zu zerbrechen droht, sahen viele Kritiker in dem Stück ein persönliches Bekenntnis Byrons.
Kommen wir nun zum Friedrich Hölderlin und seinen Briefroman „Hyperion“
„Hyperion oder Der Eremit in Griechenland“ ist der Roman eines jungen Griechen des 18. Jahrhunderts, der eine Wiedergeburt der großen Vergangenheit seines Volkes ersehnt und mit seinen Versuchen, die Würde und Schönheit der antiken Gesellschaft zu erneuern, scheitert. Der Aufstand der Griechen gegen das türkische Joch vom Jahre 1770 bildet den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Geschehens. Hyperion bekennt seinem deutschen Freund Bellarmin in Briefen sein Schicksal.
In der Liebe zu Diotima auf der Insel Kalaurea gesundet Hyperion und findet zu sich selbst. Diotima fordert ihn auf, sich seiner vaterländischen Pflichten bewusst zu sein: „Du wirst Erzieher unsers Volks!“ Der Aufstand gegen die Türken trennt die Liebenden. Voll Zuversicht zieht Hyperion mit seinem Lehrer Alabanda in den Kampf für einen Freistaat der Schönheit und Harmonie und muss erleben, dass seine Kampfgefährten nach dem Sturm auf Misistra, das alte Sparta, plündern und morden. Hyperion sucht den Tod; Diotima stirbt; die Ideale erweisen sich als trügerisch.
Die Prosa des „Hyperion“ hat die Sprachgewalt der gebundenen Rede, die Ausdruckskraft hymnischer freier Rhythmen. Von unvergänglicher Schönheit sind die Schilderungen der griechischen Landschaft und die Liebesbriefe Hyperions und Diotimas. „Wie der Zwist der Liebenden sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder.“
Jakob Michael Reinhold Lenz folgte dem Werther-Motiv mit seinem Briefroman „Der Waldbruder, ein Pendant zu Werthers Leiden“. Dieser Verweis gilt jedoch nur bedingt, wenn man die gesamte Handlung überblickt. Herz, der Waldbruder, lebt in seiner Phantasiewelt. Er sucht nach einer Geliebten wie Goethes Werther, hat jedoch nur wenig Glück bei den Frauen. Als er an ein Mädchen gerät, das er leidenschaftlich liebt, ertappt er sie mit einem Rivalen. Er zieht sich nun aus einem weiteren Grund in Waldeinsamkeit zurück, nachdem er nämlich von einer vermögenden, aber hässlichen Hauswirtin mit Intrigen umsponnen wird. Immerhin: Das Fragment wurde von Goethe huldvoll aufgenommen, er ließ es 1797 – fünf Jahre nach dem Tode des Dichters – in der Zeitschrift „Die Horen“ drucken.
Kommen wir nun zu Stendhals Roman „Rot und Schwarz“.
Zum Inhalt des zweiten Buches: Julian, Sohn aus ärmlichen Verhältnissen, als Hauslehrer immerhin empor gestiegen, lernt schnell, die ihm übertragenen Aufgaben gut zu erfüllen, und gewinnt Vertrauen und Anerkennung seines Dienstherren. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringt die adelige Gesellschaft um Marquis de la Mole, Pair von Frankreich, in den Salons von Paris, zu denen auch Julian aufgrund seiner Tätigkeiten für den Marquis Zugang hat. Dort wird die glänzende Erscheinung Mathildes, der jungen Tochter des Marquis, von einigen Adeligen umschwärmt. Mathilde jedoch ist von diesen Verehrern gelangweilt. Julian interessiert sich zunächst nicht für Mathilde. Er bleibt ihr fern, aus Angst, sein Stolz könnte von ihr verletzt werden. Gerade dieses Desinteresse ist es, das Mathildes Eitelkeit reizt. Sie stellt sich vor, Julian könnte ein neuer Danton sein, ein revolutionäres Genie im Gegensatz zu den einförmigen und aus ihrer Sicht nicht mehr von dem Heldenmut ihrer Vorfahren beseelten adeligen Verehrern. Sie verliebt sich in ihn und schreibt ihm einen Liebesbrief. Julian glaubt aber zunächst an eine Falle der Adeligen, die dazu dienen solle, ihn zu kompromittieren. Sein Begehren, das sich zu einer leidenschaftlichen Liebe steigert, muss er Mathilde gegenüber allerdings immer wieder maskieren, um sich als Dandy ihr Interesse zu sichern.
Mathilde stürzt sich immer tiefer in die Liebe zu dem nicht adeligen, mittellosen Julian, obwohl dies völlig gegen die gesellschaftlichen Konventionen verstößt, die sie selbst so hoch achtet. Als sie schwanger wird, entschließt sie sich, ihrem Vater die Beziehung zu gestehen. Dieser ist entsetzt über den Verrat des von ihm geschätzten Julian. Trotzdem will er nach einigem Ringen Julian eine falsche Identität als adeliger Offizier geben und in die Hochzeit einwilligen, um den Ruf seines Hauses nicht zu gefährden.
Als der Marquis de la Mole jedoch Erkundigungen über Julians Vorleben einholt, erhält er einen Brief von Madame de Rênal, in dem sie Julian als Herzensbrecher schildert, der es auf das Geld reicher Frauen abgesehen habe. Madame de Rênal hat sich wegen ihres Ehebruchs mit Julian zwischenzeitlich tief in Reuegefühle verstrickt und hat den Brief von ihrem Beichtvater diktiert bekommen – einem Jesuiten, der aus Karrieregründen dem Marquis de la Mole gefallen möchte. Als Julian von diesem Brief erfährt, der kurz vor dessen Verwirklichung seines alten Traums von einer Karriere als Offizier und seinem gesellschaftlichen Aufstieg zerstört hat, reist er nach Verrières und schießt dort auf Madame de Rênal.
Madame de Rênal erholt sich von ihrer Verletzung und söhnt sich mit Julian im Gefängnis aus. Er erkennt dort, dass sie die einzige ist, die je wirkliche Liebe für ihn empfunden hat. Mathilde, die auf Madame de Rênal sehr eifersüchtig ist, wird nun von Julian verachtet. Beide ihn inbrünstig liebende Damen lassen derweilen nichts unversucht, sein Leben doch noch zu retten. Julian will jedoch lieber sterben, als mit der Schmach dessen, was er getan hat, leben zu müssen, und verletzt die Geschworenen durch eine ehrliche Rede so in ihrer Ehre, dass sie ihn zum Tod verurteilen. Mathilde kann hernach das abgeschlagene Haupt ihres Geliebten mit einem großen Aufwand in den Bergen um Verrières feierlich bestatten. Madame de Rênal hatte zwar gelobt, sich um Julians noch ungeborenes Kind zu kümmern. Aber sie stirbt drei Tage nach Julian in den Armen ihrer Kinder.
Ein Italiener hat sich ebenfallsmit dem Werther-Motiv beschäftigt, worauf dankenswerterweise Anne Bohnenkamp-Renken vom Goethehaus Frankfurt auf meine Nachfrage hinwies. Sie nannte – neben dem soeben besprochenen Stendhal – auch weitere französische Autoren.
Zunächst soll uns der Briefroman „Ultime lettere di Jacopo Ortis“ von Ugo Foscolo ein wenig beschäftigen. Der fiktionale Herausgeber Lorenzo Alderani erklärt in einer Vorrede an den Leser, er präsentiere im Folgenden die Briefe seines Freundes Jacopo Ortis, um der unbekannten Tugend ein Denkmal zu errichten. Der Leser weiß so von Anfang an, dass Ortis inzwischen verstorben ist. Die nun folgenden Briefe erstrecken sich vom 11. Oktober 1797 bis zur Nacht vom 25. auf den 26. März 1799. Es sind ausschließlich diejenigen von Ortis, Alderani fügt lediglich, vor allem zum Ende hin, einige für das Verständnis notwendige Erläuterungen ein.
Jacopo Ortis ist ein junger Venezianer, der geglaubt hatte, dass Napoleon das zersplitterte Italien einigen würde, was sich nach dem Frieden von Campo Formio als Illusion erweist (hier gibt es übrigens Parallelen zu Stendhals Roman „Die Kartause von Parma“, ein junger Idealist schließt sich Napoleons Treuppen an). Schon wenige Tage zuvor geht der junge Patriot, dem Verfolgung droht, ins Exil in die Euganeischen Hügel. Dort beginnt er gleich, seine Briefe zu schreiben. Im Exil lernt er Teresa kennen, die Tochter eines venezianischen Aristokraten, und verliebt sich in sie. Auch wenn sie seine Gefühle erwidert, muss sie ihr Versprechen einlösen, den vermögenden Odoardo zu heiraten. Es bleibt bei einem einzigen Kuss. Nach einer ergebnislosen Aussprache mit ihrem Vater reist Ortis durch Norditalien und besucht Stätten, die wichtig sind für den Ruhm der italienischen Nation, wie Florenz, wo er ehrfürchtig vor den Gräbern von Galileo, Machiavelli und Michelangelo steht, oder wie Ravenna, wo er die Urne des „Vaters Dante“ umarmt. Er leidet gleichermaßen an der nationalen Schmach und am Liebesverzicht. Der Gedanke an Selbstmord begleitet ihn von Anfang an; nur die Idee, dass ein Aufbegehren der Italiener gegen die Fremdherrschaft noch möglich ist, wenn sie sich auf die vergangene künstlerische Größe besinnen, und die Hoffnung auf eine Verbindung mit Teresa halten ihn zurück. Als er erfährt, dass sie geheiratet hat, erdolcht er sich.
Foscolos Ultime lettere gilt gemeinhin als erster Roman der italienischen Literatur. Heroischer Gestus (auch wenn er tatenlos bleibt) und edle Melancholie ließen den Roman bei den Zeitgenossen zu einem großen Erfolg werden. Die Parallelen zu Goethes Die Leiden des jungen Werther – der Aufbau des Briefromans, die unglückliche Liebe zur Braut eines anderen, der Selbstmord – wurden schnell erkannt, auch wenn Foscolo betonte, ihm gehe es, anders als Goethe, um die politische Situation seines Landes und nicht um romantischen Weltschmerz. Giuseppe Mazzini, einer der Protagonisten des Risorgimento, der italienischen Befreiungsbewegung des 19. Jahrhunderts, lernte den Roman in seiner Jugend auswendig.
Zu nennen wäre jetzt Joseph Antoine Gourbillons Briefroman „Stellino ou le nouveau Werther“, das als e-book in französischer Sprache vorliegt. Eine Neu-Herausgabe würde sich unbedingt lohnen, ist allerdings sehr aufwendig. Ich habe zumindest die ersten Seiten gelesen und finde es trotz der düsteren Handlung recht amüsant. Zu erwähnen wäre noch Charles Nodier, geboren in Besancon, der sich vor allem mit Schauergeschichten und einem der ersten Romane zum Suizid einen Namen machte. Nebenbei: Wegen eines satirischen Gedichts auf Napoleon saß er auch mal für kurze Zeit im Gefängnis, konnte jedoch untertauchen, nachdem er sich sogar an einer Verschwörung gegen den Diktator beteiligt hatte. Eine sehr interessante Gestalt, meine ich.
Den Reigen setzt eine weibliche Version fort, denn zu den frühesten französischen Werther-Adaptionen gehört Pierre Perrins „Wertherie“
Die Heldin trägt kurzerhand diesen Namen. Der verheiratete Mann, den die junge Schwärmerin abgöttisch liebt, heißt – merkwürdig genug – Herzberg. Die Heldin vergiftet sich mit Opium.
Von französischen Autoren wären noch drei mit ihren Werken aufzuführen. Francois de Chateaubriands „Rene“. Als René bei den Natsches ankam, war er genötigt worden, ein Weib zu nehmen, um sich dem indianischen Brauch und Herkommen zu fügen; er lebte jedoch nicht mit ihr. Sein Hang zur Schwermut zog ihn in die Wälder: dort brachte er Tage und Wochen einsam zu, und glich einem Wilden unter den Wilden. Außer Schakta, seinem Adoptivvater, und dem Pater Souël, dem Missionsprediger des Forts Rosalie, pflog er fast gar keinen Verkehr mit den Menschen. Diese beiden Greise hatten großen Einfluß auf sein Herz gewonnen; der Erstere durch eine liebevolle Nachsicht, der Andere hingegen durch eine außerordentliche Strenge gegen ihn. Ein gegensätzliches Motiv zu seiner faden Ehe durchzieht das Buch: nämlich zärtliche Liebe und Hingabe zu seiner Schwester Amelie; eine Geistesfreundschaft aus ihrer Jugendzeit. Zu den Wertheriaden wäre ebenso Benjamin Constants „Adolphe. Anecdote trouvee dans les papiers d’un inconnu, et publiee“ zu zählen. Ein junger Adliger mit besten Aussichten erobert aus einer Laune heraus die Geliebte eines anderen, Elléonore, wie eine Trophäe. Doch statt einer flüchtigen Liebschaft entwickelt sich eine Bindung, die den Protagonisten zu erdrücken droht.
Nun kommen wir zu einer anderen Szenerie. „Oberman. Lettres publiees par M. Senancour“ Oberman. Roman in Briefen ist ein Briefroman des französischen Schriftstellers Étienne Pivert de Senancour, (1770–1846), der 1801 in Paris begonnen, 1803 in der Schweiz vollendet und 1804 in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Er gilt als eines der wichtigsten Werke der französischen Frühromantik.
In dem Roman gibt es keine klare Handlung: Der Protagonist schreibt an einen (möglicherweise imaginären) Empfänger, der genauso im Dunkeln bleibt wie andere Figuren. Während Oberman in die Schweiz reist, gibt er sich philosophischen Betrachtungen hin, die er in seinen Briefen niederlegt. Oberman wird von einer „tristesse d’une vague profonde“, einer unerklärlichen Melancholie heimgesucht, die ihn von einem Ort zum anderen treibt, verzweifeln lässt und zur Untätigkeit verdammt. Typisch romantisch im Oberman sind die schwärmerischen Naturbeschreibungen.
Vielen Künstlern diente Oberman als Inspirationsquelle, u. a. Liszt oder Delacroix. Liszt nannte Oberman „das Buch, das stets mein Leid betäubt“. Vallée d’Obermann ist der Titel eines Klavierstückes in seinen Années de pèlerinage.
Bekannt dürfte sein, dass kein Geringerer als Napoleon den Werther als Hauptwerk Goethes ansah und den Verfasser hierzu beglückwünschte.
Es gibt Werke deutscher Autoren, die man dem Werther-Motiv zuordnen kann. Ein amüsant-satirisches Gegenstück lieferte Friedrich Nicolai mit seiner bereits 1775 erschienenen Erzählung „Die Freuden des jungen Werthers“. Er eröffnete damit die Reihe der sogenannten Wertheriaden. Der Hauptheld Hannes will dem Beispiel des Werther folgen, doch ihm wird von einem älteren Freund abgeraten. Nun werden Goethes Personen eingeführt. Werther liegt auf dem „Sterbebett“, als ihm Albert eröffnet, dass jener gar nicht sterben muss, er habe die Pistole mit Hühnerblut geladen. Lotte bekommt von Werther ein Kind. Sie führen einen gemeinsamen Haushalt, leben schließlich in einem großen Haus. Er lebt glücklich mit seiner Lotte. Was hat Werther gelernt? Zitat: „Erfahrung und kalte gelassne Überlegung hat ihn gelehrt, ferner nicht das bisschen Übel, das das Schicksal ihm vorlegte, zu wiederkäuen, dagegen aber die Wonne, die Gott über ihn ausgoss, mit ganzem, innig dnkbarem Herzen aufzunehmen.
Manche Aufklärer lobten die beißend kritische Darstellung Nicolais, manchen Stürmern und Drängern war sie verhasst. Äußerst entrüstet reagiert Goethe selbst, er eröffnete einen heftigen literarischen Feldzug gegen Nicolai.
Wie auch immer: Weltschmerz, Melancholie, das Motiv der „Krankheit zum Tode“ (Kierkegaard) kamen nicht nur im „Jahrhundert der Empfindsamkeit“, sondern bis in heutige Zeit in mannigfaltigen Versionen und Genres auf den Markt.
Es gibt ein kleines Buch, ebenfalls mit ganz direktem Bezug zu Goethe, zumindest, was den Titel betrifft: Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ Der Inhalt ist kurz erzählt.In einer Ostberliner Gartenlaube liest der junge Edgar W. mit wachsender Begeisterung den „Werther“ – und verliebt sich prompt in eine Frau, die eigentlich schon vergeben ist. Die Uraufführung des Bühnenstücks 1972 in Halle war ein voller Erfolg, Plenzdorfs Stück, das die Situation von DDR-Jugendlichen in den 70-er Jahren beschreibt, wurde seitdem auf vielen Bühnen der DDR, in der Bundesrepubik und in mehreren anderen Ländern aufgeführt.
Von der Defa abgelehnt, wurde das Buch 1976 wurde das Stück in Westdeutschland verfilmt. Die Geschichte erzählt von einem Jugendlichen, der aus seiner kleinbürgerlichen Umwelt ausbrechen will und beim Lesen von Goethes Werk Die Leiden des jungen Werthers immer wieder Ähnlichkeiten mit seinem eigenen Leben entdeckt.
Ein Unterschied der Theateraufführungen in der DDR und in der BRD besteht darin, dass die Urfassung einen Selbstmordversuch enthält, in späteren Fassungen aber von einem Unfalltod die Rede ist. Auch in der Buchfassung wurde der Schluss verändert, einiges wurde erweitert, anderes wiederum getilgt.
Edgar Wibeau wurde von seinem Vater verlassen, als er fünf Jahre alt war. Nach dem Tod Edgars mit 17 Jahren befragt sein Vater Personen, die seinem Sohn nahestanden, um ihn im Nachhinein kennenzulernen.
Edgar wächst in DDR-Zeiten bei seiner Mutter als Musterschüler und Vorzeigeknabe auf – vielleicht nicht ganz freiwillig, denn er macht seine Ausbildung an einer Berufsschule, die von seiner Mutter geleitet wird. Nach einem Streit mit seinem Lehrmeister Flemming tut er, was er schon lange tun wollte – er verschwindet mit seinem Freund Willi aus seinem Heimatort, der fiktiven Kleinstadt Mittenberg, und geht nach Berlin. Willi zieht es jedoch bald wieder nach Mittenberg zurück. Edgar bleibt allein in Berlin, wo er in einer verlassenen Gartenlaube neben einem Kindergarten in Berlin-Lichtenberg unterkommt. In diesem Kindergarten arbeitet die 20-jährige Charlie, in die er sich bald verliebt. Dieter, ihr Verlobter und späterer Ehemann, und Charlie selbst geben Edgar viel zu denken. Der einzige, mit dem Edgar Kontakt hält, ist sein Jugendfreund Willi. Diesem schickt er regelmäßig Tonbänder mit Zitaten aus Goethes Werther, die seine eigene Lage gut beschreiben, Nachdem der junge Rebell an einer Kunsthochschule nicht aufgenommen worden war, sich selbst als verkanntes Genie aber nie ganz abschreibt, nimmt er eine Arbeit als Anstreicher auf. Um Addi und Zaremba, seinen Arbeitskollegen, etwas zu beweisen, versucht er, ein „nebelloses Farbspritzgerät“ zu entwickeln, an dem Addi selbst gerade erst gescheitert ist. Beim ersten Versuch, die selbstgebaute Maschine in Betrieb zu nehmen, wird Edgar durch einen Stromschlag getötet.