In tausend Formen magst du dich verstecken – Goethe und die Weltreligionen
Vortrag von Dr. Jochen Golz, Präsident der Goethe-Gesellschaft in Weimar
(Auszug)
Religiösen Handlungen ist Goethe mit großem Interesse begegnet. Die wichtigste Quelle dafür stellt seine Autobiographie „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ dar. Dort erfahren wir, dass Goethe, ein neugieriges, aufgewecktes Kind, das Ghetto in Frankfurt aufgesucht hat, dass er großes Interesse an der jiddischen Sprache zeigte und auch versucht hat, Hebräisch zu lernen. Altes und Neues Testament gehören zu Goethes frühesten Lektüren; bibelfest ist er stets geblieben, beide Testamente lieferten ihm einen schier unerschöpflichen Vorrat an poetischen Bildern, Motiven und Symbolen. Herder öffnete ihm dafür in Straßburg recht eigentlich den Blick. Für diesen waren die großen Texte der monotheistischen Weltreligionen, also auch der Koran, neben ihrem religiösen Gehalt vor allem poetische Dokumente. Von Herder inspiriert, übersetzte Goethe 1775 das Hohelied Salomos – ursprünglich eine weltliche Liebesdichtung, der erst spätere Exegeten einen religiösen Sinn unterlegten – in rhythmische Prosa.
Von antijüdischen Gesinnungen ist Goethe freizusprechen. Vor allem der Zug des Volkes Israel durch die Wüste zog sein historisches Interesse auf sich. 1797 begann er mit Studien zu diesem Thema, aus denen sich dann das Kapitel „Israel in der Wüste“ in den „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans“ entwickelte. Problematisch freilich blieb für Goethe das Gottesverständnis der Juden. Der Gott des Alten Testaments ist ein strafender, ein strenger Gott. Für Goethe aber, soviel sei schon vorausgeschickt, ist die Vorstellung von Gott und Göttlichem stets an Liebe und Liebesfähigkeit gebunden.
Im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, verloren die Grundtexte der monotheistischen Religionen ihren Charakter als ein für alle Mal hinzunehmende göttliche Bekundungen. Der denkende Verstand wurde auch auf diese Dokumente angewendet, als Quellentexte wurden sie Gegenstand historisch-philologischer Untersuchungen. Für Herder waren Bibel und Koran über ihre religiöse Dimension hinaus große Erzählungen von den geschichtlichen Anfängen der Menschheit, von den Vätern, die, wie es in Goethes „Divan“-Gedicht „Hegire“ heißt, „Himmelslehr‘ in Erdesprachen“ verkündeten. Bereits der junge Goethe war von dieser Vorstellung angetan. Mohammed (oder in Goethes Diktion Mahomet) wurde für ihn Sinnbild des schöpferischen Genies, wie es in dem Hymnus „Mahomets Gesang“ seinen Ausdruck findet. Goethe las den Koran zunächst in einer englischen, später deutschen Ausgabe. Er suchte den Kontakt mit Fachgelehrten und ließ arabische Buchhandschriften für die Weimarer Bibliothek ankaufen. Als im Verfolg der Befreiungskriege Baschkiren unter russischer Flagge in Weimar einzogen, hatte Goethe auch Gelegenheit, einem islamischen Gottesdienst beizuwohnen. Der erste Impuls für seinen „Divan“ war entstanden, als der Verleger Cotta seinem Autor Goethe im Frühjahr 1814 eine zweibändige deutsche Ausgabe des spätmittelalterlichen persischen Dichters Hafis schenkte. Wie stets in seinem Leben musste Goethe selbst produktiv werden, um sich einem übermächtigen Einfluss gegenüber behaupten zu können. Die sinnenfrohe Bildsprache des Hafis, der Religion, Liebe und Wein feierte, hielt für Goethe ein reiches Angebot bereit. Er versuchte sich ebenfalls an der Übertragung einzelner Koranverse ins Deutsche. Verglichen mit der jüdischen Religion, war der Islam eine relativ junge religiöse Strömung. Goethe aber wollte auch hier zu „des Ursprungs Tiefe“ vordringen; 1783 übersetzte er Texte aus der vorislamischen Beduinendichtung, der „Moallakat“.
Seine historischen Interessen an der Kultur des Alten Orients verdichteten sich in der Zeit zwischen 1814 und 1819, als sein Gedichtbuch „West-östlicher Divan“ und dessen kulturhistorischer Prosakommentar entstanden. In jenen Jahren widmete sich Goethe orientalistischen Studien, unternahm auch Schreibversuche in Persisch und Arabisch. Was ihn an dieser Poesie faszinierte, war die Synthese von religiöser Grundhaltung, Liebesfähigkeit und sinnlicher Weltfreude. All dies zeichnet auch seine „Divan“-Gedichte aus. Mit dem Islam selbst treibt Goethe ein souveränes ironisches Spiel, das bis auf den heutigen Tag – insbesondere unter Muslimen – Missverständnisse hervorgerufen hat. Als er am 24. Februar 1816 in Cottas „Morgenblatt“ eine „Ankündigung“ seines neuen Gedichtbandes veröffentlichte, lehnte er darin „den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sei. Für den Leser der Zeitung musste das zumindest verwirrend wirken. Stärker noch hat sich jenes kleine „Divan“-Gedicht als Irritation erwiesen, in dem es heißt:
Närrisch, daß jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preis‘t!
Wenn Islam Gott ergeben heißt,
In Islam leben und sterben wir alle.
Was die letzte Zeile angeht, so hat Henrik Birus nachgewiesen, dass hier eine direkte Übernahme aus dem Römerbrief des Apostels Paulus vorliegt.
Was wir aus Goethes „Divan“ und dem ihn begleitenden Kommentar lernen können, ist das darin zur Anwendung kommende historische Verfahren. Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Vergangenheit begreifen lernen; alle Geschichte hat ihre Vorgeschichte. Goethes „Noten“ stellen nichts weniger dar als eine grandiose Kulturgeschichte des Alten und Mittleren Orients, in der der Islam durch seine ambivalente Funktion als Kultur und Ordnung stiftender Faktor einerseits wie als machtpolitisches Element andererseits eine besondere Bedeutung erlangt hatte. In diesem Punkt ist Goethe von einer historischen Nüchternheit, die sein Urteil über den Islam generell kennzeichnet.
Eine ganz andere Rolle hat naturgemäß die christliche Religion in Goethes Leben gespielt. Am 29. August 1749 ist Goethe lutherisch getauft und zu Ostern 1763 konfirmiert worden. Für Goethe, der ein Genie der Ordnung war, erwies sich auch die christliche Konfession in seiner Lebenswirklichkeit als Ordnungsmacht. So wie Goethe Amtsträger allgemein mit Kritik nicht verschonte, wenn sie ihren Aufgaben nicht gerecht wurden, so nahm er auch die Institution Kirche selbst von Kritik nicht aus. Davon hören wir bereits im „Faust“, als sich Mephisto bitter darüber beklagt, dass der von ihm für Gretchen herbeigeschaffte Schmuck von einem Pfaffen „hinweggerafft“ worden sei. Ambivalent sind die Eindrücke, die der in Italien reisende Goethe von katholischer Geistlichkeit und katholischem Gottesdienst. empfängt. Auf der einen Seite bleibt die rituelle Inszenierung des Gottesdienstes, in der sich sinnlicher Pomp und Musik zusammenfinden, auf Goethe nicht ohne Eindruck, auf der anderen Seite freilich artikuliert sich Kritik z.B. am Reliquienkult der katholischen Kirche, bei dessen Zelebrierung der Geistliche in Goethes Augen die Rolle eines Betrügers einnimmt. Ihren radikalsten Ausdruck findet Goethes Kritik in den „Venezianischen Epigrammen“, die zu guten Teilen bereits während Goethes Aufenthalt im Frühjahr 1790 in Venedig entstanden sind. Einige davon seien hier mitgeteilt:
Jeglichen Schwärmer schlagt mir an’s Kreuz im dreißigsten Jahre;
Kennt er nur einmal die Welt, wird der Betrogne der Schelm.
Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld‘ ich mit ruhigem Muth, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider;
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und [Kreuz]. +
Goethe spricht den Klerus nicht von dem Verdacht frei, das gläubige Volk für betrügerische Zwecke zu instrumentalisieren, und erhebt im Namen einer antikisch gesinnten freien Sinnlichkeit Protest gegen die Sinnenfeindlichkeit des Katholizismus. In diesen beiden Punkten musste Goethe aber auf das Lesepublikum Rücksicht nehmen, als er sich zur Veröffentlichung seiner Epigramme entschloss; in Schillers „Musenalmanach“ konnte 1795 nur eine Auswahl erscheinen, bei deren Zustandekommen Goethe Streichungs-und Änderungsvorschläge seines Freundes befolgte; annähernd vollständig sind die Epigramme erst 1910 in Band 5/2 der Weimarer Ausgabe veröffentlicht worden. – Mit dem Machtanspruch des frühen Christentums ging Goethe in seiner Ballade „Die Braut von Korinth“ ins Gericht, die Herders entschiedenen Widerspruch hervorrief.
Katholizismus und Protestantismus werden von Goethe mit den gleichen kritischen Argumenten bedacht. Entschieden plädierte der Verehrer der klassischen Antike im Brief an den Altertumswissenschaftler Christian Friedrich Wilhelm Jacobs vom 14. August 1812 für das „Verdienst, das Alterthum durch neue Monumente aufrecht zu erhalten, das ein ganz wahnsinniger, protestantisch-catholischer, poetisch-christlicher Obscurantismus gern wieder mit frischen Nebeln einer vorsätzlichen Barbarey überziehen möchte.“
Kirchenkritische Töne sind auch in den „Zahmen Xenien“ zu vernehmen, von denen ebenfalls längst nicht alle zu Goethes Lebzeiten veröffentlicht wurden. Der Gegensatz von Volksfrömmigkeit und Klerus wird auch hier thematisiert:
Mit Kirchengeschichte was hab‘ ich zu schaffen?
Ich sehe weiter nichts als Pfaffen;
Wie’s um die Christen steht, die Gemeinen,
Davon will mir gar nichts erscheinen.
Goethes Vorbehalte gegenüber den institutionalisierten christlichen Konfessionen waren grundsätzlicher Natur. Gegen die theologische Auffassung von der prinzipiellen Sündhaftigkeit der menschlichen Existenz sprach sein Bild vom Menschen, in dem der christliche Dualismus von Gut und Böse zugunsten einer dialektischen Wesenseinheit beider moralischer Qualitäten im Menschen selbst aufgehoben war. Früh schon hatte sich Goethe vom Glauben an einen persönlichen Schöpfergott und an die Offenbarung emanzipiert. Christus, so hat er in einem Gespräch mit Kanzler von Müller am 8. Juni 1830 eingeräumt, bleibe ihm „immer ein höchst bedeutendes, aber problematisches Wesen“, doch der Auffassung, Christus sei Gottes Sohn und besitze mithin selber göttlichen Status, konnte er nicht folgen; zeitlebens lehnte er die Lehre von Jesu Erlösungstod am Kreuz ab. „Das leidige Marterholz“, so im Brief an Zelter vom 9. Juni 1831, sei „das Widerwärtigste unter der Sonne.“
Es gehört zu den Paradoxa von Goethes geistiger Existenz, dass er ungeachtet aller kritischen Einwendungen gegenüber dem Kirchenchristentum selbst in einem Gespräch mit Kanzler von Müller am 7. April 1830 postulierte: Wenn er sich die Frage vorlege, „wer ist denn noch heutzutage ein Christ, wie Christus ihn haben wollte?“, dann müsse er sich die Antwort geben: „Ich allein vielleicht, ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet.“ Mit diesem Paradoxon nähern wir uns dem eigentlichen Kern von Goethes Religiosität, wobei wir getrost in seinem Sinne Religiosität als menschliches Grundbedürfnis, als „Pflicht gegen sich selbst“, wie Kant formuliert hat, verstehen können.
Wenngleich Goethes Vertrautheit mit dem Pietismus von weitreichenden Folgen für sein Künstlertum war, so hatte die Begegnung mit Herder in Straßburg für die Ausbildung seiner persönlichen Religiosität ungleich größere Bedeutung. Für den Theologen Herder war der Christengott, an den er glaubte, ein Gott der Humanität, der liebenden Zuwendung zu den Menschen. Für den jungen Goethe musste dies in mehrfacher Hinsicht Befreiung bedeuten, Befreiung von einer Gehorsam verlangenden, widrigenfalls strafenden Vatergottheit, Befreiung aber auch, weil sich ihm die Möglichkeit eröffnete, Religiosität, Humanität und Vernunft im eigenen Denken und Fühlen widerspruchslos zu vereinigen. In dieser Hinsicht erweist sich Goethe als genuiner Aufklärer.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist in den Gesprächen zwischen Herder und Goethe auch das Verhältnis von Gott und Natur zur Sprache gekommen, so dass damals schon der Boden für Goethes Lektüre des niederländisch-jüdischen Philosophen Baruch (oder Benedikt) Spinoza bereitet wurde, der im 17. Jahrhundert in Amsterdam gelebt und seine Schriften noch lateinisch verfasst hatte. Seit 1776 beschäftigte sich Goethe intensiver mit Spinoza. Dessen Hauptwerk, die „Ethik“, las er im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung. Spinoza wurde für ihn zum Musterbild des Weisen, mit dem ihn eine „nothwendige Wahlverwandtschaft“ verband.
Freilich setzte die Lehre des Spinoza nur etwas in Goethe frei, was in seiner Anschauung der Welt bereits angelegt war. In drei Worten ist diese Lehre zusammenzufassen: „Deus sive natura“ (Gott gleich Natur, Gott in der Natur). Diese Maxime bedeutete für Goethe wiederum Erlösung und Befreiung: Erlösung von einem personalen Gott, der in einem Jenseits die Geschicke des Menschen lenkt, und damit Freisetzung der eigenen, nur dem eigenen Lebensgesetz gehorchenden Individualität, die sich zwei Instanzen verpflichtet fühlt, der Natur und der Liebe. In Goethes „Mailied“ haben Natur und Liebe zu vollkommener Synthese gefunden.
In den freirhythmischen Hymnen des jungen Goethe entfaltet sich ein großes Ich, das sich allein den Geboten des eigenen Lebensgesetzes, den Geboten von Vernunft und Humanität verpflichtet zeigt. Dabei wird die ganze Spannweite menschlicher Existenz ausgemessen. Auf der einen Seite, im „Prometheus“-Gedicht, die selbstbewusste Bekundung eines autonomen, keinem außerweltlichen Gott unterworfenen schöpferischen Menschen:
Hier sitz‘ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
Auf der anderen Seite, im Gedicht „Ganymed“, das die antike Mythe von der Entführung des Ganymed durch Zeus aufgreift, die liebende Verschmelzung des lyrischen Ichs mit der Gott-Natur, wie sie bereits im „Mailied“ angeklungen war. Beides, die trotzige Selbstbehauptung gegenüber der Natur (so im „Prometheus“) und die Vereinigung mit ihr gehören zusammen. In seinen Gedichtsammlungen hat Goethe stets beide Gedichte einander gegenüber abdrucken lassen. In genialer Vereinfachung hat Goethe den dialektischen Vorgang von Verselbstung, der Selbstbestimmung des Subjekts, und Entselbstung, der Hingabe an die Natur, der der Mensch als Naturwesen ohnehin angehört, im „Ganymed“-Gedicht in zwei Worte gefasst: „Umfangend umfangen!“
Im ersten Weimarer Jahrzehnt vertieft sich Goethes Spinozismus durch seine nunmehr wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Natur. Zunächst von den praktischen Erfordernissen seiner politischen Tätigkeit angetrieben (von seiner Verantwortung z.B. für Bergbau oder Gartengestaltung im Herzogtum), erlangt Goethes naturwissenschaftliches Forschen bald sein eigenes Recht. Dafür erweist sich das Denken Spinozas als orientierende Richtschnur. Spinozas bereits zitierter Grundsatz „Deus sive natura“ erklärt die geschaffene Natur, die „Natura naturata“, nicht zum Produkt eines Schöpfergottes, sondern sieht in der Natur selbst ein göttliches Prinzip als schaffende Natur, als „Natura naturans“ wirken; „Natura naturata“ und „Natura naturans“ bilden zwei Seiten ein und desselben Vorgangs.
Goethes Naturverständnis verschafft ihm Souveränität auf nahezu allen geistigen Feldern. Das führt zu schmerzlichen Abschieden, etwa vom Schweizer Theologen Johann Kaspar Lavater, bei dem sich, so Goethe an Charlotte von Stein am 6. April 1782, „der höchste Menschenverstand, und der grasseste Aberglauben durch das feinste und unauflöslichste Band“ zusammen knüpfe. Ihm schreibt er am 29. Juli 1782, er (Goethe) sei „zwar kein Widerkrist, kein Unkrist aber doch ein dezidirter Nichtkrist“, und dem Bekehrungseifer des Freundes, für den es nur die Alternative „Entweder Christ oder Atheist!“ gab, hält er am 9. August 1782 entgegen: „Du hältst das Evangelium wie es steht für die göttlichste Wahrheit, mich würde eine vernehmliche Stimme vom Himmel nicht überzeugen, daß das Wasser brennt und das Feuer löscht, daß ein Weib ohne Mann gebiert, und daß ein Toter aufersteht; vielmehr halte ich dieses für Lästerungen gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der Natur.“
Gleichwohl hat Goethe eine Frage weiter beschäftigt, die sich bereits die antiken Philosophen gestellt haben: Gibt es am Ende doch ein Wesen jenseits der Natur, das alles Geschehen bewegt und lenkt? Goethe lässt diese Frage offen. „Wir können“, so formuliert er in dem Aufsatz „Bedenken und Ergebung“, „bei Betrachtung des Weltgebäudes, in seiner weitesten Ausdehnung, in seiner letzten Theilbarkeit, uns der Vorstellung nicht erwehren daß dem Ganzen eine Idee zum Grunde liege, wornach Gott in der Natur, die Natur in Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit schaffen und wirken möge.“ Die unmittelbare Erkenntnis des Wahren sei dem Menschen versagt. „Das Wahre“, so heißt es in Goethes Einleitung zu seinem „Versuch einer Witterungslehre“, „mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direct erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.“
Damit aber treten wir ins Reich der Kunst hinüber, ins Reich des Abglanzes und der Symbole. Doch auch in diesem Reich, das sich für Goethe als „eine zweite Natur, aber eine gefühlte, eine gedachte, eine menschlich vollendete“ darstellt, bleibt die Frage nach der Bedeutung des Wahren und Göttlichen für die menschliche Existenz offen. Von dem Zeitpunkt an, wo der Mensch mit Bewusstsein handelt, ist er in das Gewebe von freier Entscheidung und objektiver Notwendigkeit verstrickt. Für den Christen ist die Frage nach der rechten Lebensführung leichter zu beantworten. Sein Leben liegt in Gottes Hand, der gläubige Protestant erhofft alles von Gottes Gnade, der Tod ist einerseits der Sünde Sold, andererseits der Durchgang zu einer höheren Existenzweise. Aus dem bisher Gesagten ist zu schließen, dass für Goethe, dem die Autonomie des Subjekts ein höchstes Gut war, solche Glaubensgrundsätze keine Gültigkeit besitzen konnten. Gleichwohl, so lehrt ein Blick auf seine Dichtungssprache, kann diese ohne Begriffe und Metaphern nicht auskommen, die ursprünglich einen religiösen Sinngehalt besitzen und auch zu Goethes Lebzeiten ihre religiöse Prägekraft noch erhalten hatten: Gott, Götter, Göttliches. In dieser Sprache verhandelt Goethe die Frage nach dem Zusammenhang von Freiheit und Notwendigkeit, wie sie bereits in der Shakespeare-Rede formuliert worden war.
All denen, die ihrem Glauben mit dem Herzen anhingen und ihn in ihrer Lebenspraxis durch Taten beglaubigten, ist Goethe mit Anerkennung begegnet. „Toleranz“, so hat er festgehalten, „sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Für ihn bilden Verstehen und Anerkennen eine Einheit; erst aus wechselseitigem Verstehen könne wechselseitiges Anerkennen entstehen. Erst dann, wenn Gläubige sich als unduldsam erwiesen, geistige Traditionen in ihrem Sinne vereinnahmten oder darauf drangen, Andersdenkende mit allen Mitteln zur eigenen Überzeugung zu bekehren, konnte es Goethe an deutlichen Worten nicht fehlen lassen.
Sein Bekenntnis zu einem Höchsten, einem Göttlichen erweist sich als Bekenntnis zu einer Religiosität, in der sich Zuversicht, wie sie aus menschlicher Tätigkeit erwächst, mit noblem Verständnis gegenüber anders Denkenden und Glaubenden verbindet. In solchem Sinne kann uns Goethes Haltung auch heute Orientierung geben.
Preisträger Harald Schleuter
In der Anthologie „Lustige Streiche“, veranstaltet von der Geraer Goethe-Gesellschaft und dem Kulmbacher Literaturverein, gewann Herr Harald Schleuter, Mitglied unserer Erfurter Gesellschaft, mit seiner Geschichte „Das Rot der Geranien“ unter sechzig Autoren den 5. Preis.
Die Abschlussveranstaltung mit der Lesung dieser Geschichte fand am 10. Oktober 2015 in Kulmbach statt.
Wir gratulieren.
Vorstand der Goethe-Gesellschaft Erfurt
„Wie kann ich seyn ohne Ihnen zu schreiben? Goethes Briefe an Frau von Stein“
Vortrag von Dr. Elke Richter, Weimar, am 6. Oktober 2015
Im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar und des Goethe- und Schiller-Archivs geben Georg Kurscheidt, Norbert Oellers und Elke Richter Goethes Briefe – Historisch-kritische Ausgabe – heraus. Dabei umfasst der dritte Band, herausgegeben von Georg Kurscheidt und Elke Richter – die Briefe zwischen 8. November 1775 bis Ende 1779.
Es gibt 1770 Briefe Goethes an Charlotte von Stein, davon 1600 im ersten Weimarer Jahrzehnt. Die Briefe sind seit 100 Jahren im Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrt. Der Hauptteil ist in sieben Konvoluten überliefert. Die Briefe sind chronologisch geordnet. Sie wurden 1896 von der Familie Stein für 75 000 Reichsmark erworben. Es handelt sich um einen sehr wertvollen Bestand. Nur 90 Briefe sind von Charlotte erhalten. Dass Goethe ihre anderen Briefe verbrannt habe, dafür gibt es keinen Beleg. Erst in den 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts setzten Bemühungen ein, Charlotte von Stein auch als eigenständige Person wahrzunehmen. Dies ging einher mit der Entdeckung ihrer literarischen Werke, denn sie war auch Schriftstellerin.
Als Hoffräulein diente sie bei Herzogin Anna Amalia. 1764 schied sie aus dem Hofdienst aus. Ihre Ehe verlief nicht ganz ohne Liebe. Zwischen 1764 und 1774 gebar sie sieben Kinder, vier starben bereits als Säuglinge.
Goethe wurde anfangs argwöhnisch betrachtet, seine Freundschaft zum Herzog angefeindet. Allerdings war sie eifrige Leserin des „Werther”. Der Schweizer Arzt Johann Georg Zimmermann übernahm die Mittlerrolle zwischen ihr und Goethe. Am 7. Januar 1776 schrieb Goethe an Charlotte einen Brief: über ihre „lieben Briefe, die mich peinigen.” Später schrieb er ihr allerdings nur noch selten Briefe, da beschäftigte er für seine Korrespondenzen schon Sekretäre. Goethes Briefe an Charlotte waren in der Art eines Fidibus gerollt und eingefaltet. Er verfällt der „Billet-Krankheit”, schreibt mitunter zweimal am Tag. Von Anfang an herrschte ein vertrauter Ton. „Liebe” kommt mehrfach und auch unterstrichen vor. Ende Januar 1776 schreibt er ganz offen von seiner Liebe, von „Engel” und „Gold”. Er wechselt zum vertraulichen Du. Im März scheint sie ihm dies verwiesen zu haben, was ihn verstimmt.
Kleinere Verstimmungen treten immer wieder auf. Goethe stellt zeitweise die Korrespondenz ein. Immerhin hält das Werben bis März 1776 an. In ihrem Werk „Rino”, dessen Figurendarstellerin autobiografische Züge aufweist, erkannte Goethe sich in der Titelfigur wieder. Die Spitze war gegen ihn gerichtet.
Ab dem zweiten Halbjahr scheint die Stein jedoch ihre Zurückhaltung aufgegeben zu haben. Sie besuchten den Hermannstein bei Stützerbach. Bei dieser Gelegenheit fertigte er zwei Zeichnungen von der Höhle am Hermannstein und vom Stützerbacher Grund.
1777 nehmen die versöhnlichen Briefe zu, aber der Ton wird ruhiger. Häufiger werden auch die Kinder erwähnt. Diese Phase endet 1777 mit der Reise in den Harz. Über das Ziel seiner Reise ließ Goethe die Stein im Unklaren. Goethe suchte in den wilden Bergen, so auch bei seiner Beschäftigung mit dem Kupferschieferbergbau in Ilmenau, von seiner stillen Traurigkeit Abstand zu gewinnen. Sämtliche Briefe an Charlotte aus seiner voritalienischen Zeit gehören zu den sprachlich schönsten. Hier tauchen auch Bibelworte und antike Allegorien auf, verschmelzen miteinander. Nach der Rückkehr von der Harzreise im Dezember 1779 festigt sich die Beziehung zu Charlotte, doch die grundlegende Ambivalenz bleibt.
Im selben Jahr nimmt auch die Intensität des Briefwechsels wieder zu, trotz seiner Amtsgeschäfte. Während der Reise mit dem Herzog in die Schweiz (1780) schreibt er an sie seitenlange Briefe. Sie sind erstmals datiert und von Goethes Sekretär Philipp Seidel aufgeschrieben. Zwischen 1775 und 1779 sind 561 Briefe Goethes überliefert, davon 346 an Charlotte. Während der italienischen Reise ist dieser Anteil ebenso groß. Nach Monaten intensiven Schreibens kommt es jedoch zu ebenso langen Pausen. Oft reichen „Zettelgen”. Daneben gibt es „Gedichtbriefe” und lange Reiseberichte. Aber viele Briefe aus der Schweiz gelten nicht allein Charlotte, manche sind auch zur Weitergabe an Dritte bestimmt.
Die Briefe offenbaren den gemeinsamen Grundzug emotionaler Verbundenheit mit der Adressatin, dies ist auch später noch der Fall, wenn er sich verletzt oder zurückgewiesen fühlte.
Seine Beziehung zu der verheirateten Frau verstieß nicht zwangsläufig gegen die Konvention, da die Ehen nicht wie im heutigen Sinne gelebt wurden. Man lebte zuweilen nicht zusammen, sie waren weniger innig als heute. So wiesen Goethes Briefe nicht enden wollende Liebesbeteuerungen auf, da diese Beziehung für ihn lebensnotwendig war. So ist die Liebe eher in einer umfassenden, existenziellen Bedeutung zu sehen. Oft werden auch kleinere Geschenke übersandt. Auch Charlotte schickt Geschenke. Aber auch viele andere Themen spielen eine Rolle. Beispielsweise Zeichnen als Mittel der Weltaneignung. Dazu fordert Goethe seine Charlotte immer wieder auf, immer wieder zeichnet er für die Freundin.
Charlotte ist ihm auch eine wichtige Gesprächspartnerin auf literarischem Gebiet. Sein Publikum in den Weimarer Anfangsjahren bestand ja nur aus einigen Freunden, darunter Charlotte. Es gibt auch Gedichte an sie: „An den Mond”, „Wanderers Nachtlied”. Fließende Übergänge von Brief zu Lyrik stellen sich ein. Dabei vermeidet er aber Exaltiertheit. Nicht mehr Gefühlsüberschwang kennzeichnen diese Briefe, sie sind in einfacher, aber eindringlicher Form gehalten. Es bleibt aber bei ständig sich wiederholenden Liebesbekenntnissen, es gibt metaphorische Bezüge, Anklänge an die Bibel.
An der Saale hellem Strande
Herbstausflug am 19. September 2015
Unser Herbstausflug führte uns zunächst nach Bad Kösen. Die Anlegestelle war rasch gefunden, auch drei Kulmbacher fanden sich dort ein. So stand einer schönen, einstündigen Schiffahrt auf der MS „Rudelsburg“ nichts im Wege. Die Landschaft dort ist sehr schön. Schon auf der Fahrt hatten wir Burg Saaleck und dann auch die Rudelsburg erblickt. Die Ufer sind naturbelassene, sogar Komorane konnten wir unter den hohen Sandsteinfelsen entdecken. Muntere Gespräche begleiteten die Fahrt, leider blieb unser Kapitän stumm. Einige aufschlussreiche Informationen wären recht hilfreich gewesen. Wir stärkten uns bei belegten Brötchen und Kaffee.
Nach der Schifffahrt ging es mit dem Bus hinauf zur Rudelsburg; gar nicht leicht für unseren Busfahrer, dort einen Parkplatz zu finden. Selbst Pkw-Fahrer haben da einige Probleme.
Nun erwartete uns das Düsseldorfer „Theater der Dämmerung“. Es gab „Siddharta“ – eine indische Dichtung nach der bezaubernden Erzählung von Hermann Hesse zum besten. Zwei Spieler gestalteten das Licht-/Schattenspiel mit großen beweglichen Scherenschnittfiguren. Friedrich Raad erzählte den gekürzten Originaltext mit Headset. Der junge Siddharta sucht seine Vollendung, weltüberwindende Wunschlosigkeit. Vom Wissen seines Vaters und der PRiester enttäuscht, verlässt er mit seinem freund Govinda die Heimat, um bei den Samanas im Wald die strengste Askese zu erlernen. Doch der lebensfeindliche Zwang asketischer KAsteiungen erweist sich als schmerzvoll und unfruchtbar. Auf ihrer Wanderung lernen die Beiden schließlich die Lehr Buddhas kennen. Siddharta erkennt, dass Bewusstsein nicht durch Lehren überlieferbar ist, sondern nur durch eigene Erfahrung erworben werden kann. Durchlebte Askese, durchlebte Sinnlichkeit, insbesondere mit der Kurtisane Kamala und dem geschäftstüchtigen Kaufmann Kamaswami, führen bei Siddharta schließlich zu Menschlichkeit und Herzöffnung.
Hochinteressant ist auch die Technik: Die 21 Bühnenbilder von Siddharta, jedes 1,33 Meter breit und 1,12 Meter hoch, sind mit Glasmalfarbe auf einer 28 Meter langen Rolle aufgemalt. Diese Rolle sitzt auf einem Kugellager und wird von Hand gekurbelt.
Nach der Theateraufführung war ein Ritteressen angesagt, das sich jedoch sehr an heutigen Ess- und Trinkgewohnheiten orientierte. Spielmann Max unterhielt uns auf historischen Instrumenten.
Auf der Fahrt gab es noch viel Gelegenheit zu Gesprächen.
Goethe im Spiegel seiner Zeitgenossen
Vortrag von Iris Renner, Erfurt, am 2. September 2015
Es war der erste Vortrag nach der Sommerpause. Iris Renner von der Goethe-Gesellschaft Erfurt hielt einen Vortrag über „Goethe im Spiegel seiner Zeitgenossen“.
Er war deshalb sehr interessant, weil wir Goethe aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln vieler seiner Zeitgenossen, ob berühmt, vertraut oder sogar unbekannt, bewusster wahrnehmen und seine Entwicklung daraus erkennen konnten. Und auch deshalb, weil das Vorgetragene ein Resümee einer ungeheuren Fleißarbeit war. Iris Renner pickte aus vielen Büchern, z. B. Johann Peter Eckermann: „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“ oder „Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen“ (3 Bände) ihre Zitate heraus. Außerdem trug sie diese als ehemalige Schauspielerin sprachlich und stimmlich gekonnt vor. Anschließend gab es mehrere Bemerkungen des Lobes.
Hier einige ihrer vorgetragenen Zitate:
Stöber an Hofrat Ring (Straßburg 4. Juli 1772, Goethe 23 Jahre alt)
„Der Herr Goethe hat eine Rolle hier gespielt, die ihn als überwitzigen Halbgelehrten bekannt gemacht. Er muss – wie man fast durchgängig von ihm glaubt – in seinem Obergebäude einen Sparren zu viel oder zu wenig haben.“
Johann Christian Kestner, der später Charlotte Buff heiratete:
„Er besitzt, was man Genie nennt, und eine ganz außerordentliche Einbildungskraft. Er ist in seinen Affekten heftig. Er tut, was ihm gefällt. Aller Zwang ist ihm verhasst.“
Christoph Martin Wieland ( 17. Oktober 1776):
„Goethe ist immer der nämliche – immer wirksam, uns glücklich zu machen. Ein großer, herrlicher, verkannter Mensch; eben darum verkannt, weil wenige fähig sind, sich einen Begriff von einem solchen Menschen zu machen.“
Johann Peter Eckermann:
„Es war eine glückliche Zeit, wo ich ihn nach und nach kennenlernte, und wo eine Welt von neuen Ansichten mir durch ihn aufging. Das waren keine fernliegenden Ideen, keine fremden Namen, nichts Gelehrtes und Abstraktes, das man nicht hätte fassen können… nein, überall Heimat, befreundete Natur, Klarheit und Leichtigkeit, überall das rechte Maß, überall Wahrheit.“
Eduard Genast (Schauspieler über Goethe als Theaterleiter):
„Bestimmte Rollenfächer durften die Schauspieler unter Goethes Leitung nicht beanspruchen. Selbst die ersten durften sich nicht weigern, eine Anmelderolle zu übernehmen. Er sagte einmal: Keine einzelne Stimme darf sich geltend machen, Harmonie muss das Ganze beherrschen, wenn man das Höchste erreichen will.“
Friedrich Schiller über Goethe:
„Er hat eine hohe Wahrheit und Biederkeit in seiner Natur und den höchsten Ernst für das wahre und Gute; darum haben sich Schwätzer und Heuchler und Sophisten in seiner Nähe immer übel befunden. Diese hassen ihn, weil sie ihn fürchten.“
Karl-Ludwig Knebel (zu Goethes 76. Geburtstag am 28. 8. 1825):
„…Die Nachwelt spricht den Namen heller aus und heftet an der Zeiten Fels das Wort….“
Goethe über sein Schaffen:
„….Ich verdanke meine Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit allein, sondern Tausenden von Dingen und Personen außer mir, die mir dazu die Gelegenheit boten. Es kamen Narren und Weise, helle Köpfe und bornierte, Kindheit und Jugend wie das reife Alter, und alle sagten mir, wie es ihnen zu Sinnen sei, wie sie dachten und fühlten, lebten und wirkten – und ich hatte weiter nichts zu tun, als zuzugreifen und das zu ernten, was andere für mich gesäet hatten.“
Helga Zauft
Ausflug nach Molsdorf
Am 22. August war es soweit – zu unserem Sommerfest startete der Bus mit den Goethefreundinnen und -freunden aus Erfurt und Gera mit dem Endziel: Schloß Molsdorf. Kulmbacher Literaturfreunde und eine befreundete Familie aus Zeulenroda reisten mit eigenen Pkw an. Unser erstes Ziel war die Kirche St. Elisabeth in Stedten – erbaut 1745. Wie uns der Herr Pfarrer erzählte, war sie bis 1945 ein evangelisches Gotteshaus – mit besonderen Sitzplätzen für die Adelsfamilie Keller. 1944 hatte der Krieg die schöne Barock-Kirche arg zerstört. Nach dem Wiederaufbau wurde sie ab 1976 eine katholische Kirche für die hier lebenden 224 Gemeindemitglieder. Auch berichtete der Pfarrer über einen Besuch Goethes und Wielands, die hier im Schloß 1775 Gäste des Schloßherrn waren – heute existiert das Schloß nicht mehr.
Hans-Peter Brachmanski, Mitglied der Erfurter Goethe-Gesellschaft und des Freundeskreises Schloß Stedten, gab uns interessante Informationen zum historischen Friedhof, zu den Epitaphien und Gräbern.
Weiterfahrt nach Wandersleben – wir wollten die „Menantes“-Literaturgedenkstätte besuchen, erleben. Christian Friedrich Hunold – später als „Menantes“ bekannt, wurde am 29. September 1680 hier in Wandersleben geboren. Er studierte in Jena Jura und lebte später in Berlin. Als „Barock- Dichter und Aufklärer“ seiner Zeit verfaßte er auch „Hocherotische Werke“, die ihm zu jener Zeit viel Aufmerksamkeiten einbrachten. In Arnstadt lebte und wirkte zu dieser Zeit Johann Sebastian Bach- der „Orgel-König“ genannt. Beide lernten sich kennen und sollen ein wildes, unmoralisches Leben geführt haben. In seiner Hamburger Zeit schrieb Menantes religiöse Bücher, nachdem er seine alte Lebensweise aufgegeben hatte und wurde in Halle an der Universität lehrend wirksam. Hier heiratete er auch, zeugte vier Kinder mit seiner Frau und kehrte 1706 nach Wandersleben zurück. Am 6.August 1721 starb Menantes hier im Alter von nur 41 Jahren. Diesen kurzen Lebenslauf des „Menantes“ vermittelte uns ein Vortrag, der uns ALLEN gut gefiel, weil er viel Neues vermittelte. Die Führungen samt Erläuterungen übernahmen Bernd Kramer und Cornelia Hobohm, bei denen wir uns herzlich bedanken.
Wir fuhren weiter Richtung „Schloß Molsdorf“. Nach dem Mittagessen erlebten wir eine Schloßbesichtigung und erfuhren vieles aus dem Leben von Graf Gotter. Er wurde 1692 geboren, ging nach der Schule und dem Studium an den Wiener Hof, wurde Diplomat und soll stets in Geldnot gelebt haben. Bedingt durch seine Tätigkeit war er sehr oft auf Reisen. Man erzählte uns, das er sehr „begehrt“ bei den Damen war und dies auch genoss (lt. Kirchenbucheintrag soll er 28 Kinder gezeugt haben ). 1723 wurde er geadelt: jetzt Baron Gotter! 1740 wurde er nach nach Berlin berufen als Reichsgraf. 1762 starb er in Berlin und wurde auch dort beigesetzt.
Nach der Schloßführung erwartete uns ein Konzert der ganz besonderen Art – Thema:“Herzlich tut mich erfreuen die schöne Sommerzeit – Musik der Renaissance an Burgen und Schlössern“ mit der „Erfurter Camerata – vorgetragen in Kostümen der Renaissance und mit den Musikinstrumenten dieser Zeit! Wir waren sehr begeistert und dankten dem Geschäftsführer Dieter Schumann und seinen Musikern mit langem Beifall für diese Überraschung. Frau Otti Planerer von den Geraer Freunden erinnerte mit zwei vorgetragenen Briefen, die Goethe einst verfaßt hatte, an unser ALLER Hobby – Verehrung des großen deutschen Dichters.
Danach starteten wir zur Heimreise und dankten den Initiatoren und Organisatoren für diesen erlebnisreichen Tag!
Renate Dalgas
Sommerfest in Stedten
Unser Sommerfest 2015
Zu unserem Sommerfest schrieb Hans-Peter Brachmanski, Organisator der Besichtigung Stedten, folgendes:
Am 22. August 2015 planten zwei Goethe-Gesellschaften, darunter Mitglieder aus Franken, Zeulenroda, Gera und Erfurt, eine Reise in das zentral gelegene Stedten, um hier den Geburtstag des Dichters zu begehen. Dazu fertigte Helmut König eine Medaille. Terminliche Veränderungen brachten es zwar mit sich, dass der Besuch eine Woche vorverlegt werden musste, was dem Ganzen aber keinen Abbruch tat.
Im Mittelpunkt des Interesses stand natürlich der historische Ort mit seinen wenigen noch erhaltenen historischen Schlossrelikten. Darunter ganz besonders sehenswert das barocke Schlossportal mit dem angrenzenden kleinen Park. Durch dieses fuhren vermutlich Goethe und Wieland hinauf zum Schlosseingang, wo sie von der Gastgeberfamilie erwartet wurden. Das war im kalten Winter von 1775 zu 1776. In dem 1737 erbauten schlichten Landsitz verbrachte der gerade 26-jährige J. W. Goethe im Kreis der Familie v. Keller seinen ersten Jahreswechsel in Thüringen. Kein Geringerer als Christoph Martin Wieland, den eine enge Freundschaft mit Julie von Keller verband, hatte das Stedtener Treffen in die Wege geleitet. Dem jugendlichen Dichter des Bestsellers „Die Leiden des jungen Werther“ eilte ein ganz besonderer Ruf voraus. Goethes Liebesroman wurde buchstäblich in allen Landen verschlungen. Die Jugend kleidete sich wie Werther, man spielte das Stück und diskutierte es, dagegen sah sich manche Zensur gezwungen, das Buch sogar auf den Index zu stellen. Diesen über Nacht deutschlandweit berühmt gewordenen Dichter in dem doch abseits gelegenen Dorf Stedten ampfangen zu dürfen, stellte eine besondere Ehre für die Schlosseigentümer dar. Man erhoffte sich viel vom temperamentvollen Jungstar, dem eine ganz besondere Gabe der Erzählkunst zu eigen war. Der Gast entsprach den Erwartungen seiner Gastgeber. Gekonnt rezitierte der „Zauberer mit den schwarzen Augen“ aus seinen Werken und unterhielt damit die Gesellschaft über mehrere Tage hinweg. Es war dies jenes Theaterspiel, das ihm von Kindheit an vertraut war und das er so liebte. Dass Thüringen für über 50 Jahre zur zweiten Heimat Goethes werden würde, ahnte damals sicherlich niemand. Wieland berichtete später sehr ausführlich darüber.
Leider ist von dem Schloss nichts mehr vorhanden. Vor 70 Jahren wurde es im Zuge der Bodenreform gesprngt. Darauf nimmt die andere Medaillenseite Bezug. Die Medaille hat 35 mm Durchmesser und ist in Silber sowie Zinn im Münzfachgeschäft Krämerbrücke, Erfurt, erhältlich.
Ausflug nach Leipzig
Mein Leipzig lob‘ ich mir
„Mein Leipzig lob‘ ich mir! Es ist ein Klein-Paris und bildet seine Leute!“ Das meinte der Student Goethe. Aber weder der spätere Herr Geheimrat noch ich reichlich 200 Jahre später während meines Leipziger Studiums ahnten, dass die Messe-, Bach- und Goethe-Stadt sich heute durchaus auch mit Venedig messen kann. Bei unserem Ausflug am 13. Juni 2015 mit Erfurter und Geraer Goethefeunden nach Leipzig konnten wir jedoch sowohl optisch als auch körperlich wahrnehmen, dass Wasserstraßen für Leizig an Bedeutung gewinnen. Bei einer Bootstour über die Pleiße und verschiedene Kanäle lernten wir Leipzig vom Wasser aus kennen. Wobei sich selbst Goethes wenig bekannter Zusatz in dem bekannten Spruch als wahr erwies: Leipzig bildet seine Leute und Gäste. Denn unser „Kapitän“ fütterte uns nicht nur mit Kaffee und anderen Getränken, sondern auch mit viel Wissenswertem über die Leipziger Wasserwelt. Sie erstreckt sich mit dem Stadthafen bis ins Zemtrum der Metropole und soll noch so ausgebaut werden, dass sich bequem per Motor- oder Paddelboot das Neu-Seenland erreichen lässt.
Wasser von oben bekamen wir zum Glück nur wenig ab, dann ging’s schon wieder per Bus in die Innenstadt bis zum Gewandhaus und von da per pedes zum berühmten Auerbachs Keller. Frisch gestärkt beim Mittagsmahl konnten wir uns hernach ohne Magenknurren der Kultur hingeben. Eine nette und sachkundige Mitarbeiterin erzählte uns Wissenswertes über die Entstehung des historischen Lokals und führte uns durch jene Räume, in denen nur zu besonderen Anlässen oder für hochrangige Gäste aufgetafelt wird. So lernten wir das Alt-Leipzig-Zimmer mit seinen Gemälden kennen, aber natürlich interessierten wir uns als Goethe-Freunde am meisten für den gotisch gewölbten „Goethe-Keller“ und den in Goethes „Faust“ erwähnten „Fass-Keller“. Letzteren ziert ein
aus einem einzigen Baumstamm geschnitzter beeindruckender Hexenritt und ein historisches Weinfass, auf dem der Sage nach der Magier Johann Faust aus dem Keller geritten sein soll.
Wir ritten nicht auf einem Fass heimwärts, sondern nutzten unseren Bus, zumal alsbald nicht Wein in unsre Münder, sondern Wasser aus himmlischen Gefilden auf unsere Häupter herab plätscherte. Dennoch gelang uns der geplante Abstecher zur Gustav-Adolf-Gedenkstätte Lützen südwestlich von Leipzig. Der Schwedenkönig war hier in einer Schlacht im November 1632 getötet worden. Über 200 Jahre erinnerte nur ein großer Findling an seinen Todesort. Dann überkrönte man den Stein mit einem von Schinkel entworfenen Baldachin, 1906/1907 wurde die Gustav-Adolf-Gedächtniskapelle gebaut, später die Gedenkstätte mit zwei Holzhäusern komplettiert. In einem befindet sich ein kleines Museum, das wir ebenfalls besichtitgen. Warum? Weil wir als Goethe-Freunde immer auch ein wenig über den Tellerrand schauen wollen und uns wie der Minister und Dichter für viele Dinge, Menschen und Ereignisse interessieren.
Angelika Kemter
Herder, Licht, Liebe, Leben
Vortrag von Dr. Egon Freitag, Weimar, am 1. Juni
Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) gehört zu den großen Vier der Weimarer Klassik. Er stammt aus Mohrungen östlich der Weichsel. Sein erstes Gedicht war gewissermaßen „Schmuggelpoesie”. Er fand nämlich eine Anstellung als Gehilfe des Mohrunger Diakons Sebastian Friedrich Trescho. Herder benutzte dessen umfangreiche Bibliothek, um sich an den Werken der großen antiken und zeitgenössischen Schriftsteller zu bilden. Dort entdeckte er das Hochzeitslied „Anke van Tharow” des samländischen Dichters Simon Dach. Herder übertrug das Lied ins Hochdeutsche und nahm es in seine Volksliedersammlung auf. Als „Ännchen von Tharau” wurde es berühmt und auch mehrfach vertont.
Trescho sandte Manuskripte an den Königsberger Verleger Johann Jacob Kanter. Der 17-jährige Herder übernahm das Abschreiben, Versiegeln und Wegschicken und schmuggelte ein selbstverfasstes Gedicht in die Sendung. Ein paar Posttage später schrieb der Verleger an Trescho, er habe in dem Paket ein Gedicht gefunden, mit dem Titel „Gesang an den Cyrus”, aber ohne Angabe des Verfassers. Da dieses Gedicht voll „Geist und Salbung” sei, habe er es sogleich drucken lassen. Es fand große Zustimmung. Gern hätte er jedoch den Namen des Verfasser gewusst. Daraufhin stellte Trescho seinen Gehilfen zur Rede …
1762 kam Herder nach Königsberg, unternahm von Riga, wo er als Prediger arbeitete, aus eine weite Seereise. Er kam auf seinen Reisen nach Dänemark, Frankreich, Brüssel, Paris, aber auch in den Elsaß und nach Böhmen. In Darmstadt lernte er Caroline Flachsmann kennen, seine spätere Frau. Gemeinsam lasen sie Gedichte, so die Oden Klopstocks, pflegten „muntere Schäkerei und die Freuden der Gesellschaft”. Da es sich um eine Bildungsreise handelte – Herder begleitete den 17-jährigen Erbprinzen Peter Friedrich Wilhelm von Holstein-Gottorp -, musste sich Herder von Caroline verabschieden. Der zweite Teil dieser Bildungsreise führte Herder nach Straßburg. Er wohnte zunächst im Gasthaus „Zum Geist”, unverhofft war auch Goethe dort einquartiert. Anfang Oktober 1770 kam es zur ersten Begegnung. Goethe fühlte sich von der Persönlichkeit Herders angezogen, bewunderte seine umfangreichen Kenntnisse und tiefen Einsichten. Dabei war ihre Beziehung zuweilen durchaus gespannt; Herder konnte den um einige Jahre Jüngeren schelten, tadeln und auch höhnen.
Herder vollendete in Straßburg den „Ursprung der Sprache”. Die Sprache sei nicht göttlichen Ursprungs, sondern vom Menschen selbst erschaffen. Es handelt sich um die erste historische Sprachtheorie. Herder sammelte für Goethe Lieder, insgesamt 172. Er pries die wunderbare Kraft des Volksliedes, „die Entzückung, die Triebfeder, den ewigen Erb- und Lustgesang des Volks” und forderte zum weiteren Sammeln auf. Im Gegensatz zu Achim von Arnims und Clemens Brentanos „Des Knaben Wunderhorn”, das ausschließlich deutsche Volkslieder enthielt, sammelte Herder aus aller Welt. So befanden sich in seinen „Stimmen der Völker in Liedern” sogar keltische Lieder und ein Opferlied an eine peruanische Regengöttin.
Goethe nahm auch an der Hochzeitsfeier von Herder und Caroline teil. Herder war mit 600 Talern Schulden in die Ehe getreten. Dennoch begann jetzt eine glückliche Zeit. Seine Lina sei „blauäugig wie das Himmelszelt, ein schwebender Engel auf dieser Welt.”
Er wurde Oberprediger in Bückeburg: „Begraben unter Büchern und gelehrtem Staub”.
Herder hatte acht Kinder, sieben Jungen und ein Mädchen.
In Bückeburg entfaltete Herder eine erstaunliche Produktivität, auch um seine Schulden zu begleichen. Er schrieb seine „Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit” und erklärte: „Es ist Feuer darin und glühende Kohlen auf die Schädel unseres Jahrhunderts.” Zugleich fasste er den Plan, seine Volksliedersammlung herauszugeben. Sie erschien 1778 und 1779 in zwei Teilen.
Am 1. Oktober 1776 traf Herder mit seiner Frau und zwei Söhnen in Weimar ein. Goethe hatte dies beim Herzog vermittelt, denn die Stelle des Superintendenten, mit der weitere kirchliche Ämter verbunden waren, war vakant. Wieland begrüßte Herder hocherfreut: „Herder predigt, wie noch nie jemand gepredigt hat, so wahr, so simpel, so fasslich, und doch alles so tief gedacht, so rein gefühlt, so schwer an Inhalt!” Es erschienen die „Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit”. Doch die Plackerei seiner Ämter störte ihn bei seinen Plänen.
Für seine universelle, fast enzyklopädische Bildung besaß Herder eine umfangreiche Bibliothek. Sie umfasste etwa 8000 Bände (Goethe ca. 7000, Wieland ca. 6000, Schiller ca. 800).
Auch Schiller lobte Herders Predigten, wusste aber auch von manchem Ehestreit zu berichten. War dies der Fall, kam es vor, dass sie verschiedene Etagen bewohnten, ein Bote überbrachte dann Briefe. Immer lenkte Caroline ein: „Diesem Gott kann niemand zürnen.” Sie liest aus einem Buch, und Herder fällt ihr um den Hals.
Goethe und Herder halten allmählich Freundschaft, so übernahm Herder Korrekturen zu „Iphigenie auf Tauris”. Herder verhielt sich auch loyal gegenüber Christiane Vulpius. Ja, er taufte sogar taktvoll im Goethehaus den unehelichen Sohn August und hat ihn auch 1802 konfirmiert.
Herders Hauptwerke: „Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit”, „Stimmen der Völker in Liedern”, „Briefe zur Beförderung der Humanität”.
Er verfasste aber auch erotische Texte, zum Beispiel „Lieder der Liebe”.
Er reiste auch nach Italien, diese Reise dauerte elf Monate. 1802 erhielt er aus persönlichen Gründen (Grunderwerbswunsch eines nicht-adligen Verwandten) den bayrischen Adelstitel, der jedoch vom Weimarer Herzog nicht anerkannt wurde.
Herder lehnte Schillers „Räuber” ab. Anlass war, dass bei den Aufführungen die Studenten stets das Räuberlied sangen, was Herder als anstößig empfand.
Herders Wahlspruch „Licht, Liebe, Leben” stammt aus dem Johannes-Evangelium.
Auf den Spuren Goethes ins Fichtelgebirge
Tagesausflug am 9. Mai 2015
Nach unserer Ankunft im Fichtelgebirge stand zunächst der Ochsenkopf auf dem Programm. Mit der Seilbahn fuhren wir hoch zum Gipfel. Goethe hatte in Begleitung diesen Gipfel besucht, dort meteorologische Beobachtungen durchgeführt. Von besonderem Interesse ist jedoch seine Entdeckung einer merkwürdigen Bergwiese, die er dann in Begleitung seines Freundes Knebel und eines Botanikers besichtigte. Die kleine Gruppe stieg dazu durch mehrere kurios durcheinander liegende Granitmassen hinab. Dort entdeckten sie nicht nur die Moosbeere, sondern auch den fleischfressenden Sonnentau. Einige tote Insekten befanden sich zwischen den Fanghärchen. Goethes Entdeckung war zweifelsfrei richtig, doch wurde sie seinerzeit von Fachbotanikern vehement bestritten. Kein Geringerer als Charles Darwin bestätigte wenige Jahrzehnte Goethes Entdeckung.
Wir stärkten uns in der Baude und fuhren anschließend mit der Seilbahn wieder ins Tal. Nun stand das berühmte Felsenlabyrinth der Luisenburg bei Wunsiedel auf dem Programm. Da nicht alle gut zu Fuß waren, teilten wir uns konditionsgemäß in zwei Gruppen. Unsere Führerin zeigte uns die imposanten mächtigen Felsgebilde, darunter auch die so genannten „Wollsäcke“, „Napoleons Hut“ und „Helgoland“. Letztere Bezeichnungen gehen auf Napoleons Kontinentalsperre zurück; über die Insel Helgoland gelangte Schmuggelware, insbesondere Rohrzucker, auch nach Wunsiedel, wo sich Zuckerraffinerien befanden.
Entgegen der Auffassungen der Plutonisten, die die Entstehung der Gesteine vor allem auf heftige Ereignisse, wie Erdbeben und Vulkanausbrüche zurückführten, gelangte Goethe zu einer, auch in der heutigen Geologie noch gültigen Erklärung. Die merkwürdigen Gebilde sind über Jahrtausende hinweg durch Erosion, Frostaufbrüche, Fließerden u. ä. entstanden.
Das Seehaus zu finden, gestaltete sich ein wenig schwierig, dennoch war der Zeitverlust von einer halben Stunde noch zu akzeptieren. Hier oben folgte Goethe dem Paschenbach, schlussfolgerte den richtigen Standort des Weißen Mains. Am Seehaus beobachtete er voller Respekt die Arbeit der Bergleute, die winzige Zinnkügelchen aus dem lehmichten Wasser gewannen. Viel Erfahrung und ein scharfes Auge waren hierfür vonnöten.
Wir stärkten uns im Seehaus und fuhren mit vielfältigen Eindrücken wieder nach Hause.
Auf dem Ochsenkopf kam die Frage auf, woher dieser merkwürdige Name denn stamme.
Auf Nachfrage teilte Adrian Roßner vom Fichtelgebirgsverein folgendes mit:
Sehr geehrter Herr Kemter,
Von unserer Geschäftsstelle kam heute eine Weiterleitung Ihrer Anfrage in mein
Postfach, sodass ich versuchen will, den Namen dieser zweithöchsten Erhebung
unseres Fichtelgebirges – wenigstens in Ansätzen – zu erklären. Fakt nämlich
ist, dass sich die Geister über die Herkunft dieser recht seltsam anmutenden
Bezeichnung scheiden und sie ohnehin erst im Zuge des späten 17. Jahrhunderts
fassbar wird. Frühere Beschreibungen bspw. aus der Feder Caspar Bruschius
schweigen sich komplett über den Namen aus und auch beim „Teutschen Paradeiß“
des Magisters Will heißt es lediglich: „Die höchste Spitze des Berges heißet von
Alters her der Ochsen-Kopf, ohne dass man weiß, warumb (sic).“ Wie es stets zu
beobachten ist, wenn Menschen verzweifelt auf der Suche nach dem Sinn und Unsinn
diverser althergebrachter Begebenheiten sind, ranken sich denn schließlich um
den Ochsenkopf unzählige Mythen und Legenden. Angefangen von einem heidnischen
Tierkult, der einst in Anbetung des Sonnengottes dort oben vollzogen worden sein
soll, über folgende Erzählung ist dabei alles vertreten:
Einst wandelte der Herr Jesus Christus auf der Erde, was eine große Freude für
sie war. So geschah es denn auch, dass sie sich, als er wieder gen Himmel fahren
wollte, an seine Füße hing und ihn nicht gehen lassen wollte. Da beschwor der
Herr Wolken herauf, die seine Beine befreiten und aufgrund deren weißer Farbe
die entstandene Erhebung bis heute „Schneeberg“ heißt. Der Teufel war dadurch
derart in Rage geraten, dass er sich als Erlöser ausgab und ebenfalls auf die
Erde stieg. Diese wiederum klammerte sich erneut an die Beine des gen Himmel
Auffahrenden, erkannte jedoch schnell, dass es sich dabei nicht um den Sohn
Gottes handelte, sondern um den gefallenen Engel. Da erschrak sie, ließ los und
rief: „Was bin ich doch für ein Ochsenkopf“.
Um die ganze Geschichte ein wenig abzukürzen, stimmt keine der eben angebotenen
Erklärungen mit den Tatsachen überein – vielmehr handelt es sich beim Namen um
eine Ableitung von einer einem stilisierten Ochsenkopf gleichenden
Form/Ritzzeichnung am Gipfel des Berges. Auch über deren Bedeutung stritten sich
die Gelehrten, ehe man darauf kam, dass es sich dabei am ehesten um ein Zeichen
der Venediger handeln könnte. Über diese „Schatzsucher des Fichtelgebirges“ habe
ich vor einiger Zeit einen Beitrag in unserem Siebenstern veröffentlicht, den
ich Ihnen hier hinterlege:
https://app.box.com/s/al1qw016t5efuob4nvuj
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit ein wenig weiterhelfen und verbleibe
Mit lieben Grüßen,
Adrian Roßner