Goethe und der Islam

Vortrag von Hartmut Heinze (M. A.), Berlin, im April 2016

Schon früh beschäftigte sich Goethe mit dem Islam. Davon zeugt beispielsweise sein Preislied auf Mohammed. Ab 1814 wird seine Zuwendung im West-Östlichen Diwan evident. Er lehnt den Verdacht nicht ab, selbst ein „Muselmann“ zu sein. Dabei stand das „Abendland“ dem Orient traditionell feindlich gegenüber. 1698 gab es eine lateinische Übersetzung des Korans, 1734 eine englische. Für 100 Jahre wurde sie in Europa die Hauptquelle der Kenntnisse über den Koran. 1720 gab es auch eine Biografie über Mohammed. Dort hieß es, „der Islam sei eine vernunftgemäße Religion, die Achtung verdient“. 1765 preist Voltaire den Koran, neben Zoroaster und Konfuzius sei Mohammed einer der drei großen Gesetzgeber der Welt.
Freilich hat Voltaire auch das anti-muslimische Drama „Der Fanatismus des Propheten“ geschrieben, das nun Goethe auf Geheiß des Herzogs um 1800 auf die Weimarer Bühne bringen soll. Aber Goethe hat durch seine eigene Übersetzung sehr mäßigend auf dieses Stück hingewirkt und ihm seine eigene Auffassung gewissermaßen „untergejubelt“. Er bekämpfte religiösen Fanatismus generell.
Auch Lessing, Leibniz und Herder bemühten sich im Sinne der Aufklärung um eine gerechte Beurteilung des Islam. Ihnen war die konsequente Begeisterung für Einen (!) Gott eigen. Die christlichen Theologen an sich – mit Ausnahme Herders – verhielten sich jedoch weitestgehend verständnislos und intolerant.
Welche Aspekte des Islam waren nun für Goethe maßgebend?
Dies war zum einen seine Liebe zum Orient generell. „Ich möchte leben wie Moses im Koran, Herr, mache mir Raum in meiner Brust“, heißt es sinngemäß aus der 20. Sure. Es geht ihm um die Freisetzung schöpferischer Kräfte. Goethes Grundüberzeugung, dass sich Gott in der Natur offenbare, stimmte mit der 6. Sure überein. Sein besonderes Interesse galt der Person Mohammeds. Sie inspirierte Goethe zu seinem Dramenprojekt „Mahomet“. Es war bis dato die beste Huldigung, die ein Deutscher dem Begründer des Islam widerfahren ließ.
Allerdings erkannte Goethe sehr wohl, dass Mohammed seine Lehre nicht nur durch das Wort verbreitete, sondern ebenso durch das Schwert.
Das Preislied „Mahomets Gesang“ beinhaltet das Gleichnis des Stroms, dem viele Bäche zufließen und die der Fluss allesamt dem Meer entgegen bringt. Immer geht es Goethe um die Einheit des Einen Gottes. „Schau auf Einen Gott.“ Goethes Naturfrömmigkeit zeigt sich stets im Zusammenhang mit islamischen Vorstellungen.
Es ist eine starke Hinneigung zum Determinismus zu konstatieren. Dies stimmt überein in die bewusste Ergebung in den Willen Gottes. In diese Position wurde Goethe insbesondere durch die Philosophie Spinozas geführt.
1814 schrieb er die ersten Gedichte für den „West-östlichen Diwan“.
Besonders dem persischen Dichter Hafis war Goethe sehr zugetan. Ihm gefiel dessen Ironie, und er hat diese Ironie im „West-östlichen Diwan“ umgesetzt. Wichtig für Goethe war indes auch die geistige Fundierung des koranischen Vor-Zustandes und ebenso die „mystische Dimension des Islam“ (Angelika Schimmel). Bei Hafis und Goethe verschmelzen Weltpoesie und Heiterkeit, schließlich waren beide weltliche Dichter, keine Theologen; für beide Dichter war die Welt durchaus kein „Jammertal“. Viele Gedichte im Diwan sind vom Koran beeinflusst, beispielsweise „Talismane“ durch Sure 2, „Sommernacht“ im „Schenkenbuch“, das kleine Gedicht „Pfauenfeder“ im „Buch der Parabeln“. Hier spiegelt sich ebenfalls das Göttliche in der Natur – in sehr poetischer Form. Immer ist Koran-Lektüre im Spiel.
Auch das Thema der Wiedergeburt spielt bei Goethe eine Rolle. Davon zeugt ein Gespräch mit dem Theologen Johannes David Falk über den Tod Wielands. Man denke aber auch an das berühmte „Stirb und werde“.
Im „Buch des Paradieses“ ist von künftiger heiterer Glückseligkeit die Rede. Der 18. Sure entspricht die Haltung, lieber bei den Oberen in Ungnade zu fallen, als seine Überzeugungen aufzuopfern.
Ironisch teilt Goethe mit, dass es bislang sogar vier Frauen ins Paradies geschafft haben: Suleika, die Erdensonne, Maria, Jesus‘ Mutter, Chadidscha sowie Fatima, Mahomets Gattin sowie Tochter. Goethe ironisiert die Unterordnung der Frauen, behandelt er sie doch stets in großer Idealität. Mit dem „Sänger“ im Diwan unterscheidet er sich zudem vom Propheten in den Punkten Wein, Weib und Gesang. So bleiben seine und Hafis‘ Poesie stets weltlich, sie stammt von weltbewussten Dichtern. Dabei stellt sich die Poesie oftmals mystifizierend dar, damit ihre Autoren von Dogmatikern nicht verfolgt werden können. Der Poet ist Künstler und frei von jedweden Zwecken. Dagegn will der Prophet seine Lehre verkünden, er zeigt sich unduldsam gegen andere Auffassungen. Er will die Menschen zum Gehorsam zwingen. Nur das Seine lässt er gelten. Dies zeigt sich sogar in der Ablehnung von – Märchen, die ja noch aus vorislamischer Zeit erzählt werden. Es war eine gewaltsame Unterwerfung der Poesie, fast Vernichtung insbesondere der persischen. Daher preist Goethe die Herrlichkeit der Poesie, in der das Menschliche aufbewahrt bleibt.