Vortrag von Dr. Manfred Osten, Bonn, am 2. September 2025
Die Wahrheit der Natur war Goethe wichtig. Er erkannte, dass die Natur etwas Hochkomplexes ist. Der Mensch darf in ihre unendlichen Wechselwirkungen nie ungestraft eingreifen. Die Natur duldet keine Späße des Menschen. Wir leben nicht mehr in der Kultur des Sehens, wir leben vor allem in einer digitalen Welt. Aber wir dürfen die Natur nicht nur theoretisch betrachten, das Anschauen ist besonders wichtug.
Goethe hat sich zunächst mit dem Erdreich beschäftigt – im Zusammenhang mit dem Ilmenauer Bergbau. Hinzu kam die Welt der Pflanzen, das Pflanzenreich, das Tierreich und der Mensch. Die Metamorphose von Pflanze und Tier, dies birgt das Geheimnis der Natur, in das wir nicht ungestraft eingreifen dürfen. Der Tod ist der Trick, immer viele Leben zu haben. Lynkeus: zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt. Dem folgen wir leider nicht, wir verharren in Theorien. Aber wenn wir die Welt nicht ansehen, hat die Welt ihr Ansehen verloren.
1774 beschleicht Goethe die Ahnung, dass der Mensch möglicherweise seinen Planeten und sich selbst vernichten könnte. Es ist dies „die Krankheit zum Tode“, wie es sich im „Die Leiden des jungen Werther“ spiegelt. Goethe hat die Natur angeschaut und sie nicht theoretisiert.
Sein Urerlebnis der Apokalypse geschah, als er 1790 mit seinem Herzog nach Schlesien ging, dort militärische Übungen erlebte. Wichtiger war ihm jedoch, den Betrieb der ersten Dampfmaschine auf preußischem Boden zu erleben., die „Feuermaschine von Tarnowitz“. Er wusste nun, das Maschinenzeitalter wird kommen wie ein Gewitter und wird uns brechen. Davon zeugt auch sein Festspiel der Pandora. Prometheus brachte als freundliches Geschenk dem Menschen das Feuer. Es ist mit Schrecken verbunden, denn dank seiner Hilfe folgt nun die Folterung der Erde und die Ausbeutung ihrer fossilen Stoffe. Wir fackeln die fossilen Ressourcen ab, dies in Gestalt von Schmiedegesellen, die Prometheus bei ihrem Treiben beobachtet. Die Priorität fossiler Energieerzeugung ist zum obersten Prinzip der Weltverwertung geworden. Damit geht die grenzenlose Steigerung der Produktion einher. Damit steigt der Konsum, Goethe ahnt die Wegwerf-Gesellschaft vorweg.
Der Mensch bleibt immer Zögling der Elemente und somit auch der (sauberen) Luft. Die fossilen Wälder schufen einst einen Überschuss an Sauerstoff, wodurch wir überhaupt erst leben können. Doch seit dem 20. Jahrhundert schrillen die Alarmglocken. Übermäßige Mengen an frei werdendem Kohlendioxid schädigen das Klima. Jetzt erst, mit 200-jähriger Verspätung, setzt die Menschheit auf Nachhaltigkeit. Rettung ist möglich, wenn wir die Welt entgiften. „Möge die Idee des Reinen in mir immer wichtiger werden“, sagt Goethe. Im „Buch der Parsen“ beschreibt er die notwendige Reinheit der drei Elemente. Goethe behandelt dies als reines Vermächtnis der Menschheit:
„Und nun sei ein heiliges Vermächtnis
Brüderlichem Wollen und Gedächtnis:
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.“
Das sei alles, was wir wissen müssen.
Er erkennt, dass der Vorgang der Erdnutzung immer mehr exploitieren müsse, wenn und weil Geschwindigkeit ein Machtvorteil mit sich bringt und Kapital akkumuliert. Franklin: Time is money. Das ist die ungeheure Wirklichkeit. Goethe antizipiert bereits 1825 die Maßlosigkeit der industriellen Gesellschaft. Und er weiß, was dies bedeutet: Keiner kennt sich mehr. Wir leben über unsere Verhältnisse. In allen Bereichen erleben wir Beschleunigung, alles ist ultra. Durch die absolute Rangerhöhung des Kapitals wird der Mensch zum Humankapital.
Faust lebt nach diesen Prinzipien., Mephisto gibt ihm alles und sofort. Die Natur wird als Kapitalressource gratis ausgebeutet. Dafür stehen bei Faust Landgewinnung, Kanalbau, aber auch die Vernichtung der Idylle von Philemon und Baucis. Die Sorge erscheint, Faust kommt das natürliche Atemholen abhanden, er erstickt zu Tode und bereitet sich zur Hölle. Faust bleibt ohne Therapievorstellungen. Anders Lynkeus: Er sieht die Verbrechen. Er hat die Dinge angeschaut, um die Natur in ihrem ursprünglichen Sinne zu verstehen.
Wir müssen Gier, Besitz, Kapital einen neuen Eigentumsbegriff zugrunde legen. Nur durch Mäßigung können wir uns erhalten. Goethe:
„Ich weiß, daß mir nichts angehört Als der Gedanke, der ungestört Aus meiner Seele will fließen, Und jeder günstige Augenblick, Den mich ein liebendes Geschick Von Grund aus läßt genießen. |
Jeder Trost ist niederträchtig, Verzweiflung allein ist Pflicht. Es ist die Ungeduld, die uns aus dem Paradies vertrieb. Selbstdisziplinierung wird wichtig in unserer Zeit