Archiv für den Monat: Juni 2015

Ausflug nach Leipzig

Mein Leipzig lob‘ ich mir

„Mein Leipzig lob‘ ich mir! Es ist ein Klein-Paris und bildet seine Leute!“ Das meinte der Student Goethe. Aber weder der spätere Herr Geheimrat noch ich reichlich 200 Jahre später während meines Leipziger Studiums ahnten, dass die Messe-, Bach- und Goethe-Stadt sich heute durchaus auch mit Venedig messen kann. Bei unserem Ausflug am 13. Juni 2015 mit Erfurter und Geraer Goethefeunden nach Leipzig konnten wir jedoch sowohl optisch als auch körperlich wahrnehmen, dass Wasserstraßen für Leizig an Bedeutung gewinnen. Bei einer Bootstour über die Pleiße und verschiedene Kanäle lernten wir Leipzig vom Wasser aus kennen. Wobei sich selbst Goethes wenig bekannter Zusatz in dem bekannten Spruch als wahr erwies: Leipzig bildet seine Leute und Gäste. Denn unser „Kapitän“ fütterte uns nicht nur mit Kaffee und anderen Getränken, sondern auch mit viel Wissenswertem über die Leipziger Wasserwelt. Sie erstreckt sich mit dem Stadthafen bis ins Zemtrum der Metropole und soll noch so ausgebaut werden, dass sich bequem per Motor- oder Paddelboot das Neu-Seenland erreichen lässt.

Wasser von oben bekamen wir zum Glück nur wenig ab, dann ging’s schon wieder per Bus in die Innenstadt bis zum Gewandhaus und von da per pedes zum berühmten Auerbachs Keller. Frisch gestärkt beim Mittagsmahl konnten wir uns hernach ohne Magenknurren der Kultur hingeben. Eine nette und sachkundige Mitarbeiterin erzählte uns Wissenswertes über die Entstehung des historischen Lokals und führte uns durch jene Räume, in denen nur zu besonderen Anlässen oder für hochrangige Gäste aufgetafelt wird. So lernten wir das Alt-Leipzig-Zimmer mit seinen Gemälden kennen, aber natürlich interessierten wir uns als Goethe-Freunde am meisten für den gotisch gewölbten „Goethe-Keller“ und den in Goethes „Faust“ erwähnten „Fass-Keller“. Letzteren ziert ein
aus einem einzigen Baumstamm geschnitzter beeindruckender Hexenritt und ein historisches Weinfass, auf dem der Sage nach der Magier Johann Faust aus dem Keller geritten sein soll.

Wir ritten nicht auf einem Fass heimwärts, sondern nutzten unseren Bus, zumal alsbald nicht Wein in unsre Münder, sondern Wasser aus himmlischen Gefilden auf unsere Häupter herab plätscherte. Dennoch gelang uns der geplante Abstecher zur Gustav-Adolf-Gedenkstätte Lützen südwestlich von Leipzig. Der Schwedenkönig war hier in einer Schlacht im November 1632 getötet worden. Über 200 Jahre erinnerte nur ein großer Findling an seinen Todesort. Dann überkrönte man den Stein mit einem von Schinkel entworfenen Baldachin, 1906/1907 wurde die Gustav-Adolf-Gedächtniskapelle gebaut, später die Gedenkstätte mit zwei Holzhäusern komplettiert. In einem befindet sich ein kleines Museum, das wir ebenfalls besichtitgen. Warum? Weil wir als Goethe-Freunde immer auch ein wenig über den Tellerrand schauen wollen und uns wie der Minister und Dichter für viele Dinge, Menschen und Ereignisse interessieren.

Angelika Kemter

Herder, Licht, Liebe, Leben

Vortrag von Dr. Egon Freitag, Weimar, am 1. Juni

Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) gehört zu den großen Vier der Weimarer Klassik. Er stammt aus Mohrungen östlich der Weichsel. Sein erstes Gedicht war gewissermaßen „Schmuggelpoesie”. Er fand nämlich eine Anstellung als Gehilfe des Mohrunger Diakons Sebastian Friedrich Trescho. Herder benutzte dessen umfangreiche Bibliothek, um sich an den Werken der großen antiken und zeitgenössischen Schriftsteller zu bilden. Dort entdeckte er das Hochzeitslied „Anke van Tharow” des samländischen Dichters Simon Dach. Herder übertrug das Lied ins Hochdeutsche und nahm es in seine Volksliedersammlung auf. Als „Ännchen von Tharau” wurde es berühmt und auch mehrfach vertont.
Trescho sandte Manuskripte an den Königsberger Verleger Johann Jacob Kanter. Der 17-jährige Herder übernahm das Abschreiben, Versiegeln und Wegschicken und schmuggelte ein selbstverfasstes Gedicht in die Sendung. Ein paar Posttage später schrieb der Verleger an Trescho, er habe in dem Paket ein Gedicht gefunden, mit dem Titel „Gesang an den Cyrus”, aber ohne Angabe des Verfassers. Da dieses Gedicht voll „Geist und Salbung” sei, habe er es sogleich drucken lassen. Es fand große Zustimmung. Gern hätte er jedoch den Namen des Verfasser gewusst. Daraufhin stellte Trescho seinen Gehilfen zur Rede …
1762 kam Herder nach Königsberg, unternahm von Riga, wo er als Prediger arbeitete, aus eine weite Seereise. Er kam auf seinen Reisen nach Dänemark, Frankreich, Brüssel, Paris, aber auch in den Elsaß und nach Böhmen. In Darmstadt lernte er Caroline Flachsmann kennen, seine spätere Frau. Gemeinsam lasen sie Gedichte, so die Oden Klopstocks, pflegten „muntere Schäkerei und die Freuden der Gesellschaft”. Da es sich um eine Bildungsreise handelte – Herder begleitete den 17-jährigen Erbprinzen Peter Friedrich Wilhelm von Holstein-Gottorp -, musste sich Herder von Caroline verabschieden. Der zweite Teil dieser Bildungsreise führte Herder nach Straßburg. Er wohnte zunächst im Gasthaus „Zum Geist”, unverhofft war auch Goethe dort einquartiert. Anfang Oktober 1770 kam es zur ersten Begegnung. Goethe fühlte sich von der Persönlichkeit Herders angezogen, bewunderte seine umfangreichen Kenntnisse und tiefen Einsichten. Dabei war ihre Beziehung zuweilen durchaus gespannt; Herder konnte den um einige Jahre Jüngeren schelten, tadeln und auch höhnen.
Herder vollendete in Straßburg den „Ursprung der Sprache”. Die Sprache sei nicht göttlichen Ursprungs, sondern vom Menschen selbst erschaffen. Es handelt sich um die erste historische Sprachtheorie. Herder sammelte für Goethe Lieder, insgesamt 172. Er pries die wunderbare Kraft des Volksliedes, „die Entzückung, die Triebfeder, den ewigen Erb- und Lustgesang des Volks” und forderte zum weiteren Sammeln auf. Im Gegensatz zu Achim von Arnims und Clemens Brentanos „Des Knaben Wunderhorn”, das ausschließlich deutsche Volkslieder enthielt, sammelte Herder aus aller Welt. So befanden sich in seinen „Stimmen der Völker in Liedern” sogar keltische Lieder und ein Opferlied an eine peruanische Regengöttin.
Goethe nahm auch an der Hochzeitsfeier von Herder und Caroline teil. Herder war mit 600 Talern Schulden in die Ehe getreten. Dennoch begann jetzt eine glückliche Zeit. Seine Lina sei „blauäugig wie das Himmelszelt, ein schwebender Engel auf dieser Welt.”
Er wurde Oberprediger in Bückeburg: „Begraben unter Büchern und gelehrtem Staub”.
Herder hatte acht Kinder, sieben Jungen und ein Mädchen.
In Bückeburg entfaltete Herder eine erstaunliche Produktivität, auch um seine Schulden zu begleichen. Er schrieb seine „Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit” und erklärte: „Es ist Feuer darin und glühende Kohlen auf die Schädel unseres Jahrhunderts.” Zugleich fasste er den Plan, seine Volksliedersammlung herauszugeben. Sie erschien 1778 und 1779 in zwei Teilen.
Am 1. Oktober 1776 traf Herder mit seiner Frau und zwei Söhnen in Weimar ein. Goethe hatte dies beim Herzog vermittelt, denn die Stelle des Superintendenten, mit der weitere kirchliche Ämter verbunden waren, war vakant. Wieland begrüßte Herder hocherfreut: „Herder predigt, wie noch nie jemand gepredigt hat, so wahr, so simpel, so fasslich, und doch alles so tief gedacht, so rein gefühlt, so schwer an Inhalt!” Es erschienen die „Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit”. Doch die Plackerei seiner Ämter störte ihn bei seinen Plänen.
Für seine universelle, fast enzyklopädische Bildung besaß Herder eine umfangreiche Bibliothek. Sie umfasste etwa 8000 Bände (Goethe ca. 7000, Wieland ca. 6000, Schiller ca. 800).
Auch Schiller lobte Herders Predigten, wusste aber auch von manchem Ehestreit zu berichten. War dies der Fall, kam es vor, dass sie verschiedene Etagen bewohnten, ein Bote überbrachte dann Briefe. Immer lenkte Caroline ein: „Diesem Gott kann niemand zürnen.” Sie liest aus einem Buch, und Herder fällt ihr um den Hals.
Goethe und Herder halten allmählich Freundschaft, so übernahm Herder Korrekturen zu „Iphigenie auf Tauris”. Herder verhielt sich auch loyal gegenüber Christiane Vulpius. Ja, er taufte sogar taktvoll im Goethehaus den unehelichen Sohn August und hat ihn auch 1802 konfirmiert.
Herders Hauptwerke: „Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit”, „Stimmen der Völker in Liedern”, „Briefe zur Beförderung der Humanität”.
Er verfasste aber auch erotische Texte, zum Beispiel „Lieder der Liebe”.
Er reiste auch nach Italien, diese Reise dauerte elf Monate. 1802 erhielt er aus persönlichen Gründen (Grunderwerbswunsch eines nicht-adligen Verwandten) den bayrischen Adelstitel, der jedoch vom Weimarer Herzog nicht anerkannt wurde.
Herder lehnte Schillers „Räuber” ab. Anlass war, dass bei den Aufführungen die Studenten stets das Räuberlied sangen, was Herder als anstößig empfand.
Herders Wahlspruch „Licht, Liebe, Leben” stammt aus dem Johannes-Evangelium.